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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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hatte in meiner Arbeit mit Zwei- und Dreijährigen zu tun, die ihr Essen wieder rauswürgten, um sich verständlich zu machen. Den Begriff «Fellatio» kannten sie nicht. Sie konnten nur den schrecklichen Missbrauch demonstrieren, indem sie ihre Backen mit Apfelkomplott füllten und wieder ausspuckten, was die Mütter dann in Rage brachte. Die Kinder wollten sich aber nur mitteilen. Es waren die Erwachsenen, die nichts verstanden.
    «Sie hat nichts für mich getan», sagte ich tonlos. «Aber für sich selbst ja auch nicht.»
    «Von wem reden Sie, Danielle?»
    «Von meiner Mutter. Sie sagte, ich solle auf mein Zimmer gehen. Es sei alles halb so schlimm. Sie sagte, sie würde sich um alles kümmern.»
    «Worum im Einzelnen, Danielle?»
    «Meine Eltern hatten Krach. Ich hörte sie schreien. Er hatte getrunken. Er trank eigentlich immer, und ich wusste, wie er dann war.»
    «Und dann?»
    «Den Friedhofsbesuch lasse ich in diesem Jahr aus. Ich sehe keinen Sinn darin.»
    «Was ist in dieser Nacht vorgefallen, Danielle? Sie waren auf Ihrem Zimmer. Was passierte dann? Sagen Sie es mir.»
    «Er tötete alle», sagte ich. «Ich wollte ihn glücklich machen, aber er tötete sie alle. Und dann sang er ein Lied, um mir klarzumachen, dass ich an allem schuld war.»
    «Sie haben niemanden umgebracht, Danielle. Ein neunjähriges Mädchen kommt gegen einen erwachsenen Mann nicht an. Das müsste Ihnen doch inzwischen klar sein.»
    Ich nickte einfach nur, denn ich mochte auch nach all den Jahren nicht gestehen, dass ich es gewesen war, die in jener Nacht, bevor das Entsetzliche geschah, die Pistole meines Vaters in der Hand gehalten hatte.
     
    Dr. Frank stellte mir noch ein paar Fragen, die ich nach gewohntem Muster beantwortete. Mir fiel plötzlich ein, dass wir uns gewissermaßen unserer Silberhochzeit näherten, und ich fragte mich, ob es angemessen wäre, ihm etwas zu schenken. Eine hübsche, gerahmte Radierung vielleicht. Eine so lange Beziehung wie mit Dr. Frank hatte ich noch mit keinem anderen Mann. Ich wusste selbst nicht, was ich davon halten sollte.
    Als unsere Stunde fast vorüber war, überraschte er mich damit, dass er wieder an den Ausgang unseres Gesprächs zurückkehrte. «Glauben Sie, Ihr Leben ist eine Erfolgsgeschichte?»
    «Wie bitte?»
    «Danielle, Sie sind eine erwachsene Frau, gebildet und haben eine erstaunliche Karriere gemacht. Ich frage, ob Sie das selbst als Erfolg verbuchen.»
    Ich musste darüber nachdenken. «Ich glaube, vielen Kindern geholfen zu haben», sagte ich schließlich. «Darauf bin ich stolz.»
    «Und wenn Sie an unsere Sitzungen denken? An unsere Beziehung? Hat die Therapie etwas bewirkt?»
    «Sonst wäre ich wohl kaum immer wieder gekommen», antwortete ich, und das kam der Wahrheit ziemlich nahe.
    Er schien zufrieden zu sein und nickte. «Sie sollten wissen, dass ich gegen Ende des Jahres meinen Ruhestand antrete.»
    «Wirklich?»
    Er lächelte und deutete auf seine ergrauten Haare. «Ich habe lange genug gearbeitet. Es wird Zeit, dass ich mich meinen Hobbys widme. Meint jedenfalls meine Frau.»
    Ich versuchte, mir irgendeine Mrs Frank vorzustellen, die von ihrem Mann verlangte, den Hut an den Nagel zu hängen, und musste schmunzeln. «Gratuliere.»
    «Sie können mich jederzeit anrufen», sagte er feierlich.
    «Danke.» Wir wussten beide, dass ich das nicht tun würde. Die Zeit unserer Beziehung war abgelaufen, und sein Ausscheiden aus dem Berufsleben bot uns eine günstige Gelegenheit, sie zu beenden.
    «Danielle», sagte er, als ich gerade aufstehen wollte. «Sie machen mir Sorgen.»
    Seine Worte verblüfften mich, zumal er selbst in Verlegenheit geriet, wie es schien. Doch er hatte sich schnell wieder gefasst. «Wir stimmen doch wohl beide darin überein, dass es in Ihrer Geschichte Dinge gibt, die Sie noch auf angemessene Weise anzuerkennen haben.»
    Ich sagte nichts.
    «Ich möchte Ihnen eine Kollegin empfehlen. Vielleicht fühlen Sie sich wohler, wenn Ihnen eine Frau gegenübersitzt.»
    «Nein, danke.»
    «Die nächsten Tage werden hart sein.»
    «Darüber komme ich hinweg. Wie immer.»
    «Haben Sie in Erwägung gezogen, bei Ihrer Tante zu bleiben?»
    «Sie hat ihre eigene Trauer zu tragen.»
    «Sie könnten sich gegenseitig trösten.»
    «Nicht in dieser Jahreszeit.»
    Er seufzte und schien sich geschlagen zu geben. «Achten Sie bitte darauf, nicht zu viel zu trinken.»
    «Das werde ich.» Morgen Nachmittag würde ich damit anfangen und mich volllaufen lassen.
    «Noch etwas,

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