Die Frucht des Bösen
Forderungen, und unsere Treffen wurden immer nüchterner.
Auch jetzt spüre ich wieder, dass er gereizt ist. Er wird grob sein, womöglich sogar übergriffig. Die Frau, die ich früher war, hätte ihn nach Hause geschickt.
Aber ich mache ihm die Tür auf und lasse ihn eintreten.
«Evan?», fragt er. Immerhin erkundigt er sich nach ihm. Wir haben uns über Evan kennengelernt. Der ganze Stress hat wenigstens ein Gutes, redete ich mir früher ein. Jetzt bin ich mir in dieser Hinsicht nicht mehr so sicher.
«Schläft», antworte ich.
«Eingesperrt?»
«Er wird uns nicht stören.»
Er zeigt ein Lächeln, das ich schon zwischen meinen Beinen spüre, und führt mich ins Wohnzimmer, wo er mir seine kräftigen Hände um die Taille legt.
Ich sperre mich. Mir fehlt etwas …
«Wo bleibt meine Überraschung?», höre ich mich fragen.
«Haben wir denn schon Montag?», entgegnet er und führt mich zum Sofa.
«In zwei Tagen schon, also fast.»
«Ungeduldig?» Er wirft mir einen Blick zu, der kokett und gefährlich zugleich ist. Auf seinen Augen liegt ein Schatten. Warum ist mir das noch nie aufgefallen? Seine blauen Augen, früher hell und leuchtend, sind jetzt dunkel wie die Nacht. Das Phantom, denke ich. Es lässt mich verdammt noch mal nicht in Ruhe.
Dann will ich an gar nichts mehr denken. Ich will es wissen.
Er zieht mich aufs Sofa, wo vor wenigen Minuten noch mein Sohn in semikatatonem Zustand gelegen hatte. Jetzt bin ich es, die halb über der Armlehne hängt, während Männerhände mein Kleid hochziehen, meinen Hintern begrapschen und den Reißverschluss im Rücken aufziehen.
Ich rieche die Augustsonne, die von seiner Haut abstrahlt und mich an einen anderen Ort versetzt, wo ich noch jung bin und Hand in Hand mit meinem Mann, der mich noch liebt, in Mexiko am Strand entlangschlendere, den Blick auf die untergehende Sonne gerichtet und in der Gewissheit, die glücklichste Zeit unseres gemeinsamen Lebens sei angebrochen.
Jetzt befingert mich ein anderer Mann, um mich zu stimulieren. Unwillkürlich dränge ich ihm entgegen.
Dann ist er in mir. Der erste harte Stoß. Sein zufriedenes Grunzen.
«Du tust genau das, was ich dir sage», befiehlt er.
Ich schließe die Augen und lasse mich gehen.
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21 . Kapitel
Danielle
«Was willst du hier?»
«Arbeiten. Was sonst?» Ich schob meine Tasche in den Spind.
«Aber du hast doch keinen Dienst», entgegnete Karen, meine Chefin.
«Genn und ich haben kurzfristig getauscht», erklärte ich. «Sie will mit ihren Kindern picknicken, und ich habe mich bereiterklärt, ihre Schicht zu übernehmen.»
Karen richtete ihre randlose Brille, verschränkte dann die Arme vor der Brust und ließ mich wissen, dass Ärger bevorstand.
«Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel gesehen?», fragte sie. «Wenn ja, wirst du mit mir darin übereinstimmen, dass du diese Nacht nicht arbeiten kannst.»
Ich hielt ihrem Blick stand, hob das Kinn und straffte die Schultern. Auch ich konnte störrisch sein. Insbesondere an diesem Abend.
Nach meiner Sitzung mit Dr. Frank war ich auf dem Sofa eingeschlafen. Ich hatte wieder von meinem Vater geträumt, nur dass er diesmal nicht in der Tür stand. Diesmal war er in meinem Zimmer. Dr. Frank hatte recht: Es gab Dinge, die ich verdrängen wollte und niemals preisgeben würde. Ich hielt sie in einem kleinen Winkel meines Gehirns unter Verschluss. Doch einmal im Jahr gelang es ihnen zu fliehen, aus ihrem Winkel hervorzukriechen und durch die dunklen Korridore meiner Erinnerung zu schleichen.
«Danny girl. It’s happy time …»
Als Psychiatriekrankenschwester wusste ich, dass das Unbewusste einen eigenen Willen hat. Als Betroffene jedoch fragte ich mich, ob ich womöglich langsam durchdrehte. Sobald ich still saß, fing mein Herz zu rasen an, und meine Hände zitterten.
Ich hätte es an diesem Abend unmöglich zu Hause aushalten können.
«Mir geht’s gut», sagte ich, was mir Karen aber nicht abkaufte.
«Zum einen», erwiderte sie harsch, «warst du in jüngster Zeit in zwei ernstzunehmende Vorfälle mit ein und derselben Patientin verwickelt.»
Ich schaute sie fragend an. Vielleicht war ich tatsächlich schon verrückt geworden, denn ich wusste beim besten Willen nicht, wovon sie sprach.
«Lucy», half sie mir auf die Sprünge. «Erinnerst du dich noch? Gestern ist sie dir entwischt. Mir ist in den ganzen fünfzehn Jahren, die ich hier bin, noch nie ein Kind durch die Lappen gegangen. Die Krankenhausleitung
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