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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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hören, was sie einander zu sagen hatten. Greg runzelte immer wieder die Stirn und schüttelte den Kopf. Schließlich zeigte er auf mich, worauf sich die blonde Frau umdrehte und erwartungsvoll ihren Blick auf mich richtete.
    Von ihr beobachtet, beendete ich das erste Buch und griff dann zum zweiten.
    Was sie mir zu sagen hatte, würde warten müssen. Hauptsächlich deshalb, weil ich es nicht hören wollte.
    «Danny girl»,
sang mein Vater in meinem Kopf.
    Ich weiß, ich weiß, ich weiß.
     
    «Wir haben eine richterliche Anordnung zur Beschlagnahme sämtlicher Akten und Aufzeichnungen über Oswald James Harrington», erklärte Sergeant D. D. Warren zehn Minuten später mit steinerner Miene. «Außerdem brauchen wir alle Informationen über Tika Rain Solis. Detective Phil LeBlanc nimmt die Unterlagen entgegen. Währenddessen möchte ich dem Personal einige Fragen stellen.»
    Ich starrte auf die Beschlüsse, die mir Detective Warren vor die Nase hielt; weil ich nichts Besseres zu tun wusste, nahm ich sie ihr aus der Hand. Was daraufstand, las sich tatsächlich wie eine richterliche Anordnung.
    «Ich werde … werde Karen Rober anrufen, unsere Stationsleiterin», sagte ich schließlich.
    «Tun Sie das.»
    «Sind Sie sicher, dass diese Sache nicht bis morgen warten kann? Wir sind knapp besetzt und können auf keinen Kollegen verzichten.»
    «Die Sache kann nicht warten.» Sie rührte keine Miene, und mir schien, als sei die Sergeantin gezielt zu dieser nachtschlafenden Zeit über uns hergefallen. Tagsüber hätte sie sich mit der Verwaltung auseinandersetzen müssen, ganz zu schweigen von den Rechtsanwälten des Krankenhauses.
    «Sie werden sich ein wenig gedulden müssen», entgegnete ich gereizt. Ich war mit dieser Situation überfordert. Mussten wir der richterlichen Anordnung Folge leisten? Durften wir das? Durfte
ich
?
    Ich musste nach Lucy sehen. Sie hatte sich während Jorges Schreikrampf still verhalten. Lag sie jetzt eingerollt auf ihrer Matratze und schlief, vom Mond beschienen?
    «Gehen wir ins Besprechungszimmer», sagte Sergeant Warren kurz angebunden.
    «Besprechungszimmer?»
    «Der Raum, in dem wir vorgestern waren.»
    «Sie meinen das Klassenzimmer?»
    «Wie auch immer. Wir kennen den Weg.» Sie setzte sich in Bewegung, gefolgt von zwei Kollegen. Der vierte Cop blieb vor mir stehen. Mitte vierzig, ein bisschen füllig um die Hüfte, mit einem abgebrühten Grinsen. Ich tippte darauf, dass er der gute Cop war. Wer mit Sergeant Warren zusammenarbeitete, musste wohl mit dieser Rolle vorliebnehmen.
    «Detective Phil LeBlanc», stellte er sich vor. «Wenn Sie mir jetzt bitte zeigen würden, wo die Patientenakten aufbewahrt werden?»
    Weil ich mir nicht anders zu helfen wusste, schloss ich die Tür zur Verwaltung auf und suchte in den Schränken nach den Akten der beiden genannten Patienten: Oswald James Harrington und Tika Rain Solis. Ich zog sie hervor, zeigte Detective LeBlanc, wo der Kopierer stand, und rief Karen an.
    Sie hatte schon geschlafen, war aber hellwach, als sie hörte, worum es ging. «Ich bin gleich da», versicherte sie mir. Ich wusste, wo sie wohnte, und konnte mir ausrechnen, dass sie frühestens in einer Stunde hier sein konnte.
    «Brauchen wir einen Anwalt? Wie soll ich mich verhalten?»
    «Antworte auf keine Frage, die du nicht beantworten willst, und sag den Kollegen, dass sie sich ebenfalls zurückhalten sollen. Was sind das nur für Idioten, um halb zwei Uhr nachts ohne Vorwarnung aufkreuzen?»
    Ich wollte gerade etwas Entsprechendes antworten, als plötzlich Sergeant Warren in der Tür stand. Wenn man vom Teufel spricht …
    «Wir würden gerne mit Ihnen anfangen.» Das war keine Bitte, sondern ein Befehl.
    «Ach ja?», murmelte ich.
    Ich legte den Hörer auf die Gabel. Als dienstälteste Mitarbeiterin der Station musste ich da jetzt durch.
    «Na schön», sagte ich.
    «Gut», entgegnete Warren.
    «Ich muss nur eben einen Schluck Wasser trinken.»
    «Ich warte.»
    «Machen Sie es sich bequem.»
    Ich kehrte ihr den Rücken und warf auf dem Weg in die Küche einen Blick in Lucys Zimmer. Ich wähnte sie in einer Ecke schlafend.
    Stattdessen tanzte sie.
    Sie drehte sich im Kreis und hüpfte anmutig von einem Mondscheinfleck zum anderen. Der übergroße OP -Kittel, den sie trug, bauschte sich bei ihren Pirouetten vorm Fenster.
    Sie war wieder eine Katze und bewegte sich ebenso geschmeidig. Vielleicht versuchte sie, die Mondstrahlen mit ihren Pfötchen einzufangen. Vielleicht fand sie

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