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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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sich im Krankenhaus verstecken wollte, fand hier die besten Möglichkeiten dazu.
    Und dann …
    Sie drehte sich langsam um und richtete den Blick auf die Tür, die sie als erste zu öffnen versucht hatte, die einzige, die verschlossen war. Und plötzlich wusste sie Bescheid.
    «Danielle», sagte sie leise. «Wir brauchen den Schlüssel für diese Tür dort.»
     
    Der Hausmeister kam mit dem Generalschlüssel. D. D. hatte sich bereits Latexhandschuhe übergestreift.
    Die schwere Tür ging auf. Vorsichtig trat sie ein und machte Licht.
    Das Mädchen hing an einem Strick in der Luft über einem zur Seite weggetretenen Rollsessel. Der schmächtige, in einen grünen OP -Kittel gehüllte Körper schaukelte ein wenig, wie vom Wind in Bewegung gesetzt.
    «Holt sie da runter, holt sie da runter!», schrie Danielle. «Greg, ruf Hilfe, schnell!»
    Greg rührte sich nicht vom Fleck. Ihm schien klar zu sein, dass dem Mädchen nicht mehr zu helfen war. D. D. trat auf sie zu und umfasste eines ihrer Fußgelenke. Lucys Haut fühlte sich kalt an, und von einem Pulsschlag war nichts mehr zu spüren.
    D. D. wich zurück und wandte sich an Neil: «Wenn du gleich die Gerichtsmedizin rufst, sag Ben bitte, dass der Knoten intakt bleiben muss.» Und an die Adresse von Danielle und Greg: «Sie können wieder nach oben gehen. Wir kümmern uns hier um alles Weitere.»
    Die beiden rührten sich nicht vom Fleck. Greg legte einen Arm um sie, und sie lehnte sich an ihn.
    «Wir bleiben», sagte die Schwester mit flacher Stimme. «Das ist die Pflicht der Überlebenden. Wir müssen leben, um Zeugnis ablegen zu können.»

[zur Inhaltsübersicht]
    23 . Kapitel
    Danielle
     
    Sechs Monate nach der Beerdigung nahm mich Tante Helen mit zum Friedhofssteinmetz. Sie hatte längst einen Grabstein aus rosafarbenem Marmor für meine Mutter ausgesucht und den Namen samt Lebensdaten einmeißeln lassen. Dann aber, als es darum gegangen war, auch für Natalie und Johnny einen Stein auszuwählen, hatten sie ihre Nerven im Stich gelassen, und sie war unverrichteter Dinge nach Hause gegangen.
    Darum waren die Gräber meiner Schwester und meines Bruders sechs Monate lang ohne Stein, bis Tante Helen beschloss, diesen Mangel zu beheben. Ich begleitete sie.
    Es war ein seltsamer Laden, den wir aufsuchten. Man konnte dort Gartenschmuck kaufen, kleine Springbrunnen und natürlich Grabsteine. Der Mann, der uns bediente, trug eine Latzhose und schien lieber zu gärtnern, als einer Frau in Schwarz und ihrer hohläugigen Nichte dabei zu helfen, zwei Kindergräber zu bestellen.
    «Der Junge mochte Baseball?», fragte er. «Ich könnte einen Schläger und einen Ball in den Stein gravieren. Vielleicht auch eine Anspielung auf die Red Sox. So was machen wir öfters.»
    Tante Helen lachte ein bisschen. Es klang nicht gut.
    Sie entschied sich schließlich für zwei kleine Engel, was ich scheußlich fand. Engel für meine ständig herumalbernden Geschwister, die mir pausenlos die Zunge herausgestreckt hatten? Ich hasste meine Tante.
    Aber ich hatte damals kein Wort gesagt und meiner Tante freie Hand gelassen. Für meine Mutter gab’s also einen rosafarbenen Marmorstein, meine Geschwister bekamen Engel. Vielleicht wuchsen im Himmel Bäume. Vielleicht konnte sich Nathalie um wilde Kaninchen kümmern.
    Keine Ahnung. Meine Eltern haben uns nie in die Kirche geführt, und auch meine Tante blieb ihr fern.
    Meinen Vater ließen wir nicht begraben. Meine Tante wollte nicht, dass er in der Nähe ihrer Schwester zu liegen kam. Stattdessen sorgte sie dafür, dass er eingeäschert und in einem Pappkarton verstaut wurde. Der Karton kam in den Keller, wo er die nächsten zwölf Jahre blieb.
    Manchmal stibitzte ich den Schlüssel aus der Handtasche meiner Tante und besuchte ihn. Der Karton gefiel mir. Klein. Schlicht. Handlich. Und erstaunlich schwer. Einmal hob ich ihn an, dann nie wieder. So wollte ich mich an meinen Vater erinnern: nicht größer als ein Packen Papiertaschentücher und leicht zu entsorgen.
    Ich konnte Faxen machen vor diesem Karton. Draufhauen, davortreten und ihn nach Lust und Laune anschreien.
    Von ihm hatte ich nichts zu befürchten.
    An meinem einundzwanzigsten Geburtstag betrank ich mich, torkelte in den Keller und kippte in einem Anfall von Wut den Inhalt des Kartons in den Ausguss. Ich spülte meinen Vater in die Abwasserkanäle Bostons und hielt dabei die Luft an, damit ich nichts von ihm in die Atemwege bekam.
    Bald darauf bereute ich, was ich getan hatte.
    In dem

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