Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
Vom Netzwerk:
Karton war er sicher aufbewahrt und klein gewesen.
    Nun aber wähnte ich ihn irgendwo da draußen, frei treibend durch Rohre und Kanäle. Womöglich quoll seine Asche im Wasser auf, sodass er wieder wuchs und in den Sielen der Stadt sein Unwesen treiben konnte. Bis sich eines Tages irgendein Kanaldeckel auftun und mein Vater daraus herausgestiegen kommen würde.
    Im Karton war er eingeschlossen gewesen.
    Jetzt hatte ich um alles in der Welt nur noch mich, auf die ich Schuld laden konnte.
     
    «Ich dachte, auf euer Doppel sei Verlass», schimpfte Karen mit Greg. Es war kurz nach vier. Wir alle waren müde, bleichgesichtig und schockiert. Karen hatte sich gleich nach ihrer Ankunft mit ansehen müssen, wie Lucy von Mitarbeitern der Gerichtsmedizin in einen Leichensack gesteckt und fortgeschafft worden war.
    Ein Kind ist wie eine Schneeflocke.
So lautet einer der ersten Lehrsätze in der Ausbildung einer Krankenschwester für Psychiatrie.
Ein Kind ist wie eine Schneeflocke.
Einzigartig und unvergleichlich. Eines zu verlieren lässt sich nicht verschmerzen, denn es bleibt unersetzlich.
    Ich hatte meine linke Hand in der Tasche und befingerte Lucys letztes Geschenk, den kleinen Ball aus Teppichfasern.
    «
Oh Danny girl. My pretty, pretty Danny girl …»
    «Sie wurde von der Polizei vernommen», entgegnete Greg. «Und auf der Station ging alles drunter und drüber. Wir hatten jede Menge zu tun.»
    «Verstehe.»
    «Mensch, Karen, du wirst uns doch wohl nicht unterstellen –»
    «Ich unterstelle gar nichts», fiel sie ihm ins Wort. «Tatsache ist, dass eines unserer Kinder mindestens eine Viertelstunde lang vom Radar verschwunden war. Du hattest die Aufsicht, Greg. Was war da los?»
    «Ich habe aufgepasst. Cecille wollte sich um Lucy kümmern und alle zwanzig Minuten nach ihr sehen. Danielle war ja, wie gesagt, mit den Detectives im Klassenzimmer.»
    Aller Augen richteten sich auf mich. Ich sagte kein Wort und bewegte das Bällchen zwischen den Fingern.
    «
Oh Danny girl. My pretty, pretty Danny girl …»
    «Du wolltest ein Glas Wasser holen», zitierte mich Karen. «Hast du Lucy am Abend gesehen? Sie in ihrem Zimmer besucht?»
    «Ja», antwortete ich. «Sie tanzte im Mondlicht und schien glücklich zu sein.»
    «Wann war das?»
    «Als ich das Glas Wasser holen ging.»
    «Sprich endlich Klartext. Das Krankenhaus wird Untersuchungen einleiten, genauso wie die Staatsanwaltschaft. Du musst uns erzählen, was passiert ist.»
    «Ich habe Lucy gesehen, mir ein Glas Wasser geholt. Ich sprach kurz mit Greg über Jimmy und Benny, habe neues Papier in den Kopierer eingelegt und mich dann mit den Detectives unterhalten. Das ist alles.»
    «Dazu braucht man doch keine zwanzig Minuten», meinte Sergeant Warren.
    «So war’s aber.» Ich schaute sie an. «Sie haben recht. Es wäre besser, wir hätten Überwachungskameras.»
     
    Sergeant Warren wollte mich noch einmal vernehmen. Ich weigerte mich. Karen sagte, ich sei mit sofortiger Wirkung beurlaubt und dürfe erst mit ausdrücklicher Genehmigung meinen Dienst wiederaufnehmen. Ich war damit nicht einverstanden.
    Alle bombardierten mich mit Fragen, aber niemand interessierte sich wirklich für meine Antworten.
    «Lucy hat sich nicht umgebracht», sagte ich laut und fast hysterisch. «So etwas hätte Lucy nie getan. Ausgeschlossen.»
    Greg und Karen hielten sich bedeckt. Sergeant Warren musterte mich interessiert. «Warum sagen Sie das?»
    «Weil ich sie gesehen habe. Sie war glücklich. Sie war eine Katze. Und als Katze fühlte sie sich wohl.»
    «Vielleicht hat ihr jemand die Illusion genommen. Oder sie verflüchtigte sich von selbst. Sie haben selbst gesagt, sie sei völlig unberechenbar gewesen.»
    «Sie hat nie irgendwelche Anzeichen auf eine Suizidgefährdung erkennen lassen.»
    «Das stimmt so nicht», widersprach Karen. «Sie neigte zur Selbstverstümmelung und Selbstbestrafung.» Und an Sergeant Warren gewandt: «Am ersten Tag ihres Aufenthaltes bei uns hat sie sich den Arm aufgeschlitzt und mit dem Blut die Wand beschmiert. Das Kind hat schreckliche Sachen gemacht, weil ihm Schreckliches zugefügt worden ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass keiner von uns wusste, was in ihr vorging und wozu sie fähig war.»
    «Sie hat sich nicht umgebracht!», wiederholte ich wütend. «Das hätte sie nie getan. Jemand hat ihr zum Ausbruch verholfen. Anders lässt sich nicht erklären, dass sie zwei verschlossene Türen passieren konnte. Sie hatte Hilfe. Der gestrige Ausbruch war

Weitere Kostenlose Bücher