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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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womöglich eine Art Probelauf. Auf der Station herrschte Tohuwabohu, wir waren unterbesetzt, und dann kreuzt auch noch die Polizei auf. Jede Menge Ablenkung, also beste Voraussetzungen für jemanden, der ihr Schaden zufügen wollte.»
    «Für jemanden», sprach mir Sergeant Warren nach und fasste mich dabei ins Auge.
    «Ich war nur fünf bis zehn Minuten …»
    «Achtzehn. Ich habe auf die Uhr geschaut.»
    «Davon war ich ein paar Minuten mit Ihrem Kollegen –»
    «Ungefähr zwei Minuten, sagt er.»
    «Wie auch immer, jedenfalls hätte ich gar nicht die Zeit gehabt, ein Kind aus der Station zu schmuggeln, runter in die Radiologie zu bringen und wieder zurückzukommen.»
    «Aber jemand hat es getan. Behaupten Sie.»
    «Jemand. Nicht ich», blaffte ich. «Jemand anderes.»
    «Wirklich? Ich dachte, Lucy hätte niemandem außer Ihnen vertraut. Wer könnte dieser Jemand sein?»
    Ich öffnete den Mund. Schloss ihn wieder. Versuchte es noch einmal. Und gab auf. Verdammt, wenn ich darauf eine Antwort wüsste.
    Lucy, tanzend im Mondschein. Lucy, unter der Decke hängend.
    Dann, wie aus dem Nichts: meine Mutter mit einem Einschussloch mitten auf der Stirn.
    «Ich kümmere mich darum, Danny. Geh ins Bett. Ich werde mich um alles kümmern.»
    «
Oh Danny girl. My pretty, pretty Danny girl …»
    «Willst du dich nicht setzen?», fragte Karen freundlich.
    Ich schüttelte den Kopf.
    «Wie wär’s mit einem Glas Wasser? Greg, hol ihr doch bitte ein Glas Wasser.» Karen ergriff meine rechte Hand, doch ich zog sie zurück. Ich wollte jetzt nicht berührt werden. Ich wollte meine Wut auskosten und mich von ihr durchfluten lassen.
    «Tika und Ozzie», hob ich an und schaute Karen an. «Sprich mit Sergeant Warren über Tika und Ozzie.»
    D. D. erklärte kurz die Situation, und Karen wurde bleich.
    «Aber … aber … das ergibt doch alles keinen Sinn», protestierte sie zaghaft. «Wir sollen der gemeinsame Nenner zweier Verbrechen sein? Wir machen keine Hausbesuche, arbeiten zwar mit den Kindern, wissen aber kaum etwas über deren Familien, auch nicht, wo sie wohnen oder wie sie leben. Das geht uns nichts an …»
    «Aber Sie haben all diese Informationen», sagte Sergeant Warren. Eine Feststellung, keine Frage.
    «Aus unseren Unterlagen, ja.»
    «Und habe ich nicht im Eingang ein Plakat gesehen, das mit einer Politik der offenen Tür wirbt? Dass Eltern Ihre Station jederzeit besuchen dürfen?»
    «Ja, sie sind eingeladen, ihre Kinder zu besuchen, sooft sie es wünschen. Das heißt aber nicht, dass wir sie
kennen
. Deren Zeit auf unserer Station ist nur ein kleiner Ausschnitt ihrer Lebenswelt – falls sie denn überhaupt zu Besuch kommen. Die meisten verzichten darauf.»
    «Die Harringtons?», hakte Sergeant Warren nach.
    Karen fummelte an ihrer Brille herum und schob sie auf der Nase zurecht. «Ozzies Eltern, nicht wahr? Die Mutter kam manchmal, blieb anfangs auch über Nacht. Später besuchte sie ihren Sohn ein- oder zweimal in der Woche.»
    «Und der Rest der Familie?»
    «An den kann ich mich nicht erinnern. Es ist wirklich eine Schande. Den meisten Eltern scheint bewusst zu sein, dass sie ihre Kinder traumatisiert haben; deshalb bringen sie sie zu uns. Dabei wär’s für Kinder viel besser, wenn sie ihre Angehörigen sähen und von ihnen bestätigt bekämen, dass alles in Ordnung ist.»
    D. D. kniff die Brauen zusammen. «Und Tikas Familie?»
    Karen schüttelte den Kopf und zeigte sich hilflos. «Greg?», fragte sie.
    Er war gerade mit einem Tablett zurückgekehrt und gab mir und Karen jeweils ein Glas Wasser. Sergeant Warren lehnte dankend ab.
    «Tika?», wiederholte er. «Das kleine Mädchen, das vor ungefähr einem Jahr bei uns war? Die sich geritzt hat?»
    «Genau die», entgegnete Warren. «Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie mit ihr gearbeitet.»
    Er nickte. «Nettes kleines Mädchen. Wenn man an sie rankam, konnte sie richtig verschmitzt sein. Aber, nun ja, sie hatte große Probleme, kein Selbstwertgefühl, Depressionen, Ängste. Vielleicht ist sie sexuell missbraucht worden, doch das kam nie zur Sprache.»
    «Wie war ihre Familie?», wollte Sergeant Warren wissen.
    «Von der war nie jemand zu Besuch.»
    «Nie?»
    «Nie. In Tikas Akte wird die Mutter als ‹abweisend› beschrieben. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen.»
    «Nach unseren Unterlagen wohnten sie in Mattapan», meldete ich mich zu Wort, in Erinnerung an das Gespräch mit Sergeant Warren und diesem George-Clooney-Verschnitt. «Wir wussten

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