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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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hatte, das sie von oben bis unten einsaute –, sie fand das letztlich derart geisttötend und derart schmerzhaft für die Knie, daß sie sich fragte, wie sie ein ganzes Leben lang solche Praktiken ertragen solle. Aber na ja, es gab Schlimmeres, es gab viel Schrecklicheres, und Patricks Selbstmord gehörte zu den viel entsetzlicheren Dingen, ebenso wie mancher Morgen mit furchtbar engem Himmel und tiefhängender Wolkendecke, der von einem süßlichen Gift und übelriechenden Ausdünstungen erfüllt war.
    Sie warf einen raschen Blick nach allen Seiten und stand auf, da sie sich für das kleinere Übel entschieden hatte.
    Nach einem Umweg durch die leere Küche, in der sie sich ein paar Bierflaschen schnappten und ein paar Scheiben Wildlachs herunterschlangen, glitten sie wie Schatten in den ersten Stock.
    Sie kannten die Räumlichkeiten ein wenig, denn ihre Eltern verkehrten miteinander. Sie hatten sich alle mehr oder weniger im Laufe der Zeit gegenseitig besucht. Sie hatten sich alle wenigstens für eine Weile ertragen müssen, und zwar im allgemeinen, wenn die Eltern im Wohnzimmer miteinander Bekanntschaft machten, nüchtern ihre Laufbahn schilderten, mit ironischem Lächeln ihren Steuersatz verrieten und begeisterte Worte über die Nachbarschaft und über die Freundschaft austauschten, die ihre Kinder ganz einfach schließen mußten, wenn man sah, was sich unter den Erwachsenen abspielte.
    In der Praxis funktionierte das nicht ganz so gut. Oder vielmehr: sozusagen nie. Für Patrick Storer waren sie alle nur kleine Idioten, mehr nicht – er ging in die Abiturklasse und interessierte sich nicht im geringsten für die Schüler aus der zehnten Klasse, sein Blick schweifte über ihre Köpfe hinweg wie über ein Luzernenfeld –, außer wenn er oder einer seiner Freunde einen Sklaven brauchte, der widerspruchslos die Drecksarbeiten verrichtete, oder einen Spion bei der älteren Schwester. Das war nicht weiter verwunderlich. Aber deshalb waren weder Evy noch Andreas noch Michèle, die diskret in den ersten Stock schlichen, vom Tod ihres Kumpels wirklich betroffen: Er war nicht ihr Kumpel. Ganz und gar nicht.
    Alexandra Storer hatte sie nacheinander in den Arm genommen und erklärt, es rühre sie sehr, daß sie gekommen seien, aber das sei dummes Zeug, behauptete Andreas, all das sei reines Theater und zur Strafe verdiente diese Schlampe, auf der Stelle vergewaltigt zu werden. Evy stellte sich Patricks Mutter an einen Pfeiler gefesselt vor.
    Michèle, die Andreas’ Worte schockiert hatten, verdrehte die Augen, als sie auf dem Treppenabsatz ankamen, aber sie war im großen und ganzen der gleichen Ansicht. Sie erklärte, daß sie, wenn ihr eines Tages das gleiche passieren sollte, gern dabei sein und heimlich das Verhalten ihrer Eltern beobachten würde, aus reiner Neugier, nur um zu sehen, wie diese auf die Beileidsbezeugungen reagierten, sich über ihren Sarg beugten, beteten und leere Floskeln herableierten.
    Patrick Storers Zimmer ging auf der einen Seite zum Wald und auf der andern zum Hof hinaus, in dem mit gesenktem Kopf geflüstert wurde und Hochprozentiges die Runde machte, damit die Anwesenden die traurige Nachricht, die Alexandra und damit der ganzen Gemeinschaft einen harten Schlag versetzte, besser verdauen konnten. Evy drehte die Jalousie herunter, bis die Lamellen zusammenstießen, während sich Andreas auf das extrabreite Bett fallen ließ und Michèle, die er am Handgelenk gepackt hatte, mit sich zog.
    Ohne eine Sekunde zu verlieren, schob Andreas seine Hand in den winzigen Slip von Michèle, die sich ein wenig unentschlossen fragte, ob es wirklich der richtige Augenblick dafür und nicht womöglich ein Sakrileg sei, wenn man bedachte, daß Patrick noch nicht einmal begraben war.
    »Was hat das denn damit zu tun?« seufzte Andreas. »Jetzt sag mir mal, was hat das damit zu tun? Du willst mich wohl verrückt machen, hm?«
    Währenddessen blieb Evy wie angewurzelt stehen.
    Er hatte soeben auf der anderen Seite des Betts eine Truhe entdeckt. Und mit Truhen hatte er eine gewisse Erfahrung. Die Frage, was sich darin befinden könne, brauchte er sich nicht zu stellen.
    Er kniete sich mit angehaltenem Atem auf den Boden und machte sich an den Schlössern zu schaffen. Sie waren nicht abgeschlossen.
    Michèle richtete sich auf einem Ellbogen halb auf, als er den Deckel aufklappte. Sie starrte ihn an, während Andreas seine Unterhose abstreifte.
    »Also das ist wirklich ein Sakrileg«, sagte sie zu Evy, der schon

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