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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Ansicht, daß es Dinge gab, die man unter Männern ausmachte und die die Frauen nichts angingen, Evy haßte das – genauso wie er es gehaßt hatte, als sein Vater ein paar Jahre zuvor versucht hatte, ihn über seine Kenntnisse in Sachen Sexualität zu befragen, was zu ziemlich grotesken Unterhaltungen geführt hatte.
    Er wartete darauf, daß sich sein Vater noch tiefer zu ihm herabbeugte, um noch mal ins gleiche Horn zu tuten. Er kniff die Augen zusammen und beobachtete Alexandra und ihren Exmann, die sich aufstellten, damit man ihnen die Hände schütteln und feuchte Küsse auf die Wange drücken konnte. Ein Angestellter des Beerdigungsinstituts hielt über die beiden schützend einen Sonnenschirm, dessen Fransen sich in der heißen Luft auf und ab bewegten. In der Ferne konnte man einen Golfplatz erkennen.
    »Sieh doch hin, wenn du mir nicht glaubst«, sagte Richard nach einer Pause.
    Um nichts in der Welt hätte Evy wieder in dem See gebadet, in dem seine Schwester zu Tode gekommen war – und vermutlich hätte ihn auch niemand darum gebeten.
    Aber er hatte nichts dagegen, woanders zu baden, und der See, in dem er am liebsten schwimmen ging, der See, der noch von keinem Trimm-dich-Pfad und keiner Grillecke verschandelt wurde und dessen Wasser so grün war, daß es fast blau wirkte, war der, an dessen Ufer man Gaby Gurlitch antreffen konnte, der See, in dem sie gewöhnlich schwimmen ging.
    Ihre Großmutter war zur Zeit des Stummfilms ein Star gewesen, vor allem in tragischen Rollen, und es ließ sich nicht leugnen, daß Gaby viel von ihr gelernt hatte. Ihr Ohnmachtsanfall auf dem Friedhof war vorbildlich gewesen, ihre Blässe große Klasse.
    Sie gehörte zu den Mädchen, die sich nie für einen Typen aus der zehnten Klasse interessieren würden. Das konnte er vergessen. Er konnte jeden Morgen den Heiligen eine Kerze stiften, ehe er in die Schule ging, konnte sogar zehn oder zwanzig stiften und den Weg zur Schule auf den Knien zurücklegen, all das änderte nichts. Gaby Gurlitch war Millionen Lichtjahre entfernt, da blieb nur noch das Onanieren.
    Patrick war ein Junge, der die beiden schönsten Mädchen der Schule gevögelt hatte, und zwar Lisa und Gaby Gurlitch, aber nicht etwa eine nach der anderen, sondern gleichzeitig. Nicht die eine an einem Tag und die andere am folgenden, nein, nein, beide zusammen, und daher waren die Herzen derjenigen, die noch zu klein waren, um irgendeinen Anspruch anzumelden, von einem bitteren Gefühl der Ungerechtigkeit erfüllt. Evy hatte ganz deutlich gespürt, wie erleichtert alle waren, als bekannt wurde, daß Patrick Storer sie nicht länger verhöhnen, nicht mehr vor Eifersucht verrückt machen, nicht mehr auf die Folter spannen und ihre Existenz verleugnen konnte, wie er es getan hatte, bis Lisas Tod seinem unverschämten Erfolg bei den Frauen ein Ende setzte.
    Man hätte es viel lieber gesehen, daß solche Mädchen für alle unerreichbar blieben, Früchte, die niemand pflücken konnte. Dann hätte sich der Schmerz etwas leichter ertragen lassen. Wenn irgendeine Mutter aus ihrem Bekanntenkreis eine Affäre hatte, war ihnen das scheißegal – zumindest behaupteten sie das –, dann sprachen sie mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln davon, was für Hängetitten, was für eine müde Pflaume und was für einen schlaffen Arsch die Mutter von X oder Y hatte, die sich aus Angst vorm Altern oder aus einer plötzlichen Eingebung heraus aufs Kreuz legen ließ, aber wenn es sich um ein Mädchen aus der Abiturklasse handelte, ein Mädchen aus ihrer Welt, ein junges Ding, eine Kreatur, die imstande war, in ihre Gedanken und Träume einzudringen und ihnen das Herz zu brechen, fand niemand das witzig. Nahm niemand das auf die leichte Schulter.
    Andreas und er setzten sich ein wenig abseits ins Unterholz, um Gaby in Ruhe beobachten zu können und ihren Anblick zu genießen – sie dachten beide an eine Meerjungfrau, wagten es aber nicht zu sagen und kniffen die Augen zusammen, denn das Licht glitzerte fahlgelb auf dem See.
    »Interessiert es dich zu hören, daß Patrick von seiner Mutter vergiftet worden ist?« fragte sie Evy.
    Er nickte unsicher. Er konnte den Blick nicht von einem Wassertropfen wenden, der Gabys Unterarm hinabrann. Er sagte sich, daß er eine Chance hatte, die Bewährungsprobe zu bestehen, wenn er sich auf einen bestimmten Punkt konzentrierte.
    »Willst du wissen«, fuhr sie fort, »wie viele Tabletten er schluckte, um zu schlafen, in seinem Alter, meine ich?«
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