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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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dabei war, in Patrick Storers Sachen zu wühlen. »Also wirklich, ein absolutes Sakrileg.«
    »Wovon redest du?« mischte sich Andreas ein. »Hm, wovon redest du eigentlich? Dieser Typ hat monatelang seine Schwester gevögelt, und dann soll er nicht das Recht haben, seine Sachen anzurühren? Was hält ihn davon ab? Weißt du, manchmal frage ich mich, ob du sie noch alle hast. Das frage ich mich wirklich.«
    Die Beerdigung fand im Verlauf der folgenden Woche statt. Es war noch so heiß, daß viele im Wasser eines Flusses oder eines Sees in der näheren Umgebung Abkühlung suchten und nach drei Sekunden wieder trocken waren. Alexandra Storer stützte sich auf ihren Exmann – seinerzeit hatte das Paar Aufsehen erregt, weil sich die beiden, wie man mir sagte, zu Hause und auch in der Öffentlichkeit prügelten, daß die Fetzen flogen, sogar noch zu dem Zeitpunkt, als sie Patrick erwartete und einen dicken Bauch hatte, die Sache war, wie es schien, allgemein bekannt.
    Ihre elegante, würdevolle Silhouette erhob sich tapfer vor dem Sarg ihres Sohns, ihr Gesicht verschwand halb hinter einer dunklen Brille und lag im Schatten eines Tüllschleiers, der in der warmen Luft zitterte. Ihre Arme waren nackt, und sie trug schwarze Seidenstrümpfe, auf die zahlreiche Schüler von Brillantmont, die Patrick die letzte Ehre erwiesen, unentwegt starrten.
    Am schwersten zu ertragen war der Augenblick, als sie Laure in die Arme fiel und die beiden sich schluchzend aneinanderklammerten wie siamesische Zwillinge bei einem Sturm. Bei Lisas Begräbnis acht Monate zuvor hatte es eine ähnliche Szene gegeben. Die Tatsache, daß ihre Kinder miteinander geschlafen hatten, schien besondere Bande zwischen den beiden Frauen geknüpft zu haben.
    Richard vermied es, sich einzumischen, auch wenn er aus demselben Grund eine besondere Beziehung zu Alexandra unterhielt. Wenn er nicht so zaghaft gewesen wäre, hätte er bestimmt mit ihr schlafen können, denn es schien, als sei sie unfähig, ihn zurückzuweisen. Auch er nahm sie unter den Klängen eines Kirchenlieds kurz in die Arme.
    Während der Grabrede, die ein ewiges, süßes und erquickliches Leben in der Nähe des Herrn in Aussicht stellte, glitten lange strahlendweiße Kumuluswolken am azurblauen Himmel entlang – deren Glanz sich auf dem mit Chairleder gepolsterten Sarg aus rostfreiem Stahl spiegelte –, und die Sargträger schwitzten in ihren dreiteiligen Anzügen, bissen die Zähne zusammen, denn sie standen in der prallen Sonne und nicht in den Zelten aus ungebleichtem Leinen, die sie für den Komfort der Anwesenden errichtet hatten. Am Eingang, auf der mit Liguster gesäumten Allee, plauderten an Limousinen gelehnt mehrere Chauffeure, und unter den Zöglingen des Brillantmont-Gymnasiums befanden sich auch ein paar Mädchen im Schottenrock, die eine Träne vergossen, die Nase hochzogen, ohne recht zu wissen, warum, und so die allgemeine Verwirrung verdeutlichten.
    Die Beerdigung dauerte unglaublich lange.
    Aber seit Evy in den Sachen des Toten gewühlt hatte, empfand er mehr Sympathie für ihn, als ihm lieb war. Er konnte nicht umhin, mit einer gewissen Rührung an diesen Affenarsch zu denken, der ihn so oft von oben herab behandelt und nie mit ihm von gleich zu gleich gesprochen hatte, ihn aus Rücksicht auf Lisa so gerade eben ertragen und als eine halbe Portion betrachtet hatte. Andreas hatte ihm mehrmals laß uns abhauen! ins Ohr geflüstert, aber Evy rührte sich nicht und bedauerte fast, daß er Patrick Storer nicht besser gekannt hatte, seit er seine verborgene Seite entdeckt hatte, requiescat in pace.
    Man kann nicht behaupten, es sei übersehen worden, daß Patrick selbst den Abend veranstaltet hatte, der, wie die Journalisten schrieben, ein so schicksalhaftes Ende nahm. Eine ganze Woche lang kamen die Regionalzeitungen beharrlich auf den tragischen Abend zurück – die Formel Drogen + Sex + Tod fand noch allgemeine Zustimmung –, aber sie hatten nur eine blasse Vorstellung von der Wirklichkeit, schrieben Dinge wie unter dem Einfluß von Haschisch…, in Marihuanadünsten…, der Abgrund der künstlichen Paradiese…, die negativen Auswirkungen einer zügellosen Sexualität…, sie lebten in einer völlig anderen Welt, betrachteten die Dinge, ohne sie zu sehen, redeten über etwas, von dem sie keine Ahnung hatten.
    Als der Sarg dann mit Hilfe einer hydraulischen Vorrichtung langsam ins Grab hinabgelassen wurde, erhob sich plötzlich ein heißer Wind, der heulend die Zelte

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