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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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künstlerischen Standpunkt war es zwar nicht viel wert, aber das Ziel bestand nicht darin, das Zimmer auszuschmücken. Er hatte einfache Reißzwecken benutzt, und manchmal überlappten sich Gabys Porträts sogar, nein, das war keine saubere Arbeit, aber es war unerläßlich, wie gesagt, keine saubere Arbeit, aber es erfüllte seinen Zweck.
    Auf diese Weise konnte er sie stundenlang anstarren, bis er einschlief. Und das tat verdammt gut. Wow, wie gut das tat! Er hatte den Eindruck, als sei er noch einmal davongekommen. Wie gut das tat, sich sauber zu fühlen, sich nicht angesteckt zu haben, trotz der Umgebung, in der er lebte. Wow! Wow! Er wollte auch unter Gabys Blick aufwachen.
    Er wünschte sich, Lisa hätte die Wendung sehen können, die die Ereignisse nahmen. Sie hätte ihn bestimmt beglückwünscht, daß er die Beziehung fortführte, die sie mit Gaby unterhalten hatte – auf die eine oder andere Weise.
    Sexuelle Beziehungen waren nicht unerläßlich, im Gegenteil. Ganz im Gegenteil. Und wenn er daher am frühen Morgen die Augen öffnete und Gaby mit Reißzwecken an die Wand geheftet sah, freute er sich darüber, daß er dieses Problem nicht hatte.
    Wie schon gesagt, Gaby verdiente etwas anderes, und er war entschlossen, es ihr zu geben. Er war entschlossen, ihr alles zu geben, was sie sich wünschte, er wollte nur ihr Diener sein, wollte nur, daß sie ihm ein wenig von diesem glänzenden Licht schenkte, das durch nichts besudelt war.
    Ein paar Stunden zuvor, am späten Vormittag, hatte Gaby zu Hause dieses Pulver geraucht, das er ihr freundlicherweise besorgt hatte, nachdem sie die Kasse in Brillantmont geknackt hatten, und sich in seine Arme sinken lassen – sie war von der Wirkung der Droge fast ohnmächtig geworden –, wobei sie nur ein T-Shirt und ein weißes Baumwollhöschen anhatte.
    Man braucht sich wohl kaum zu fragen, wie die meisten Typen bei einer solchen Gelegenheit reagiert hätten. Aber andererseits würden viele von ihnen deshalb nie eine Welt kennenlernen, in der es etwas edler zuging.
    Er verdankte Lisa ungeheuer viel. Die letzten Monate waren unerfreulich gewesen, aber er hatte so viele angenehme und zugleich schmerzliche Erinnerungen, daß der schließlich erfolgte Zusammenbruch für ihn nur noch ein dunkler Schatten war. Er war buchstäblich von Lisa erfüllt. Er war in ihren Fußstapfen aufgewachsen. Sie hatte ihn mitgerissen. Sie hatte ihn Gipfel erklimmen lassen, von denen man nicht wieder herunterkommen kann.
    Er blieb im Halbdunkel und zögerte den Augenblick hinaus, in dem er hinuntergehen mußte und sein Großvater ihm Fragen stellen würde. Er erinnerte sich noch ganz genau an die sexuellen Spiele, mit denen seine Schwester und er sich vergnügt hatten, an die vielen Stunden, in denen sie verschiedene Liebkosungen ausprobiert hatten, an die Utensilien, die sie eingesetzt hatten, an den ersten Samenstrahl, den er ihr auf die Schenkel gespritzt hatte, und an all die, die darauf gefolgt waren. Er hatte keine Einzelheit vergessen. Die Klistiere, die sie sich verabreicht hatten, waren richtige Bravourstücke, die Erdrosselungen etwas ungemein Handfestes. Er erinnerte sich daran, als sei es gestern gewesen. ›Wie sollte man das übertreffen?‹ fragte er sich. Wie war es möglich, danach nicht enttäuscht zu werden?
    Richard hatte ihm gesagt, daß Laure mit ihm reden wolle und Inspektor Chose im Laufe des Abends vorbeikäme, um ihm zwei, drei Fragen zu stellen. Man mußte nicht sonderlich pessimistisch veranlagt sein, um darin einen würdigen Abschluß eines ereignisreichen Tages zu sehen.
    Sein Treffen mit Anaïs hatte einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, den er zu vergessen suchte, indem er eine Bestellung auf der Website von Barnes & Nobles aufgab, wo Richard ein Konto mit einem Kennwort besaß, das Evy im Palm seines Vaters gefunden hatte.
    Während er einen Blick in den Garten der Crozes warf, die sich beide nacheinander mit einem gelben Puder bestäubten, bis sie hustend in alle Richtungen hüpften, sah er Laures Cabrio, das zielstrebig durch die Einfahrt hereinkam, und ihre Blicke begegneten sich kurz, ehe der Wagen hinter einer Gruppe von jungen, feuerrot verfärbten Ahornbäumen verschwand.
    Es war noch keine Minute vergangen, da klopfte sie an seine Zimmertür.
    Während die Gespräche unter vier Augen mit Richard meistens sehr bald eine groteske Wendung nahmen – freundschaftlich, mühselig und kühler, als man annehmen konnte –, begriff Evy im allgemeinen kein

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