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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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»Ich gebe zu, daß ich nicht damit gerechnet habe.«
    »Ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst…«, kicherte Evy.
    Er brauchte nur an Gaby Gurlitch zu denken. Er brauchte sich nur von diesem Licht überfluten zu lassen, das ihn blendete, wenn sie ihm gegenüberstand. Und sofort war die Sache geritzt. Weder Anaïs noch sonst jemand konnte ihn mehr beeindrucken.
    Es war höchste Zeit gewesen, daß Gaby Gurlitch ihr wahres Wesen offenbarte und ihm erschien. O ja. Halleluja. Die letzten acht Monate waren eine lange Zeit der Trauer und des Mangels gewesen, und es war wirklich höchste Zeit, daß das zu Ende ging, denn ansonsten war keinerlei Besserung in Aussicht gewesen.
    »Du bist wirklich auf dem absteigenden Ast«, erklärte Anaïs.
    Sie starrte ihn nickend an. Goldene kleine Wellen bewegten sich am Ufer auf und ab.
    »Wann begreifst du endlich, daß du mich besser auf deiner Seite hast als gegen dich? Wie kannst du nur so eine offenkundige Tatsache übersehen? Hast du eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Du gehörst zu den Leuten, die derart dickköpfig sind, daß man ihnen schon den Schädel einschlagen muß, damit sie was kapieren.«
    Sie irrte sich. Evy hatte sich die Sache reiflich überlegt.
    »Ich begreife wirklich nicht, was du willst«, erwiderte er. »Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst.«
    »Ich weiß nur eins: Dieses Mädchen hat uns bloß Ärger gebracht. Aber ich weiß nicht, wie ich dir das beibringen soll.«
    Evy strich sich über den Magen und ließ den Blick über den See schweifen, in dem ein Hund planschte, um einen Ball zu holen, den ein glatzköpfiger, erschreckend magerer Typ ins Wasser geworfen hatte.
    »Was willst du denn machen? Willst du einen Fanclub gründen?«
    Die Ähnlichkeit zwischen Lisa und Evy war ein echtes Problem für Anaïs. Wenn sie diesen Idioten verprügeln wollte, bremste sie das, sie war nämlich ziemlich sentimental und weit davon entfernt, das rohe Wesen zu sein, für das die meisten sie hielten.
    Unschlüssig setzte sie sich auf einen Baumstumpf und betrachtete Evy, wobei sie den Rauch in Ringen in den hellen Himmel blies.
    »Deine Schwester hätte es gern gehabt, daß wir Freunde wären, du und ich. Mehr kann ich dir nicht sagen. Und ich möchte nicht, daß sie glaubt, ich hätte mich nicht genügend angestrengt. Ich bin hundertmal geduldiger mit dir als mit sonst irgendeinem Bewohner dieses Planeten, und dabei hast du das gar nicht verdient, oder irre ich mich?«
    Man hörte nur das leise Plätschern des Wassers am Ufer und sonst nichts.
    »Wir stecken doch beide in demselben finsteren Loch«, fuhr sie fort. »So eine Scheiße, also hör doch endlich auf damit.«
    Evy fragte sich, ob sie vorhatte, ihn mitzunehmen, oder ob er zu Fuß nach Hause zurücklaufen müsse. Oder ob sie noch bis zum Einbruch der Dunkelheit weiterhin »Scheiße« sagen würde.
    »Und mit der anderen?« fuhr sie fort und brach ein Reisig in kleine Stücke. »Was machst du mit ihr? Bist du eigentlich noch ganz bei Trost?«
    Evy erinnerte sich an ihre Eifersuchtsszenen mit Lisa, was Gaby Gurlitch betraf, wobei sie versucht hatte, geltend zu machen, daß ihre Beziehung schon vor längerer Zeit begonnen hatte, ihre Freundschaft edler war und sich in keiner Weise mit dem vergleichen ließ, was die andere ihr anbot.
    »Weißt du«, sagte sie weiter, »ich dachte, alles würde normal werden, sobald Patrick wieder dasein würde. Ich dachte, die beiden würden wieder miteinander gehen, und ich würde dann nichts mehr von ihnen hören. Statt dessen hat sich dieser Idiot von einer Brücke gestürzt und Gaby hat sich an dich rangemacht. Wirklich genial. Findest du nicht? Ist das nicht ein richtiges Märchen?«
    Sie starrte ihn einen Augenblick an, ehe sie ein paar Kieselsteine in die Luft schleuderte, die das Tageslicht so schnell nicht wiedersehen würden – sie versanken mit einem düsteren Pluff.
    Die Dunkelheit brach an. Der letzte Schimmer des Tageslichts zog sich langsam aus dem Garten zurück, während ein paar Scheinwerfer, die sehr geschickt am Fuß der Büsche oder in den Zweigen angebracht waren, es sanft ablösten.
    Evy lag auf seinem Bett und beobachtete durchs Fenster, wie die Nacht schwarzer Tinte gleich über den Wald floß und sich wie eine Schutzhülle über die Bäume legte. Abgesehen davon war der Rest der Wand mit Gabys Porträt tapeziert, das er neulich aufgenommen und in zwanzig Exemplaren ausgedruckt hatte, um einen guten Teil der Wand damit zu bedecken.
    Vom

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