Die Frühreifen (German Edition)
Wort von dem, was seine Mutter ihm erzählte, sie warf alles durcheinander, das war ihre Spezialität.
Als erstes wollte sie wissen, ob Richard ihn in Ruhe gelassen habe, denn sie habe keinerlei Vertrauen mehr in ihn, was das reibungslose Zusammenleben in diesem Haus – soweit man davon überhaupt noch sprechen konnte – während ihrer Abwesenheit anging. Richard scheine nur darauf zu warten, daß sie den Rücken gekehrt habe, um alles auf seine Weise zu bestimmen und einen stärkeren Einfluß auf Evy zu nehmen, indem er ihm vorgaukele, er sei das Oberhaupt dieser Familie, aber Laure habe nicht die Absicht, sich verdrängen zu lassen, und lege Wert darauf, daß Evy wisse, sie sei da, fest entschlossen, ihm wenn nötig Beistand zu leisten.
Auch wenn er nicht recht sah, worauf sie hinauswollte, nickte er, um sie nicht zu verstimmen. Ihre Vorwürfe gegen Richard hatte Evy schon tausendmal gehört, und nur ihr Mann und sie wußten, was daran war und worum es ging.
Beruhigt streichelte sie ihm die Hand. Lächelnd musterte sie kurz das Zimmer ihres Sohns und behielt trotz der Porträts von Gaby Gurlitch, von denen sie vermutlich nicht begeistert war, ihre entzückte Miene. Sie stand noch unter dem Einfluß ihres Arbeitstags, war angespannt, erregt, erschöpft. Sie besaß noch eine gewisse Ausstrahlung. Je mehr sie drehte, um so länger hielt diese Wirkung an – Richard warf ihr in solchen Fällen vor, sich rund um die Uhr nur noch als Schauspielerin zu fühlen und ihre Rolle als Mutter und Ehefrau total zu vernachlässigen, und dann wurde die Atmosphäre im Haus unerträglich, voller Groll und Verbitterung auf beiden Seiten.
»Du hast das Recht, mir böse zu sein«, sagte sie. »Du hast weiß Gott das Recht, mir böse zu sein. Mir ist völlig klar, daß sie unerträglich sind und daß Richards Laune darunter leidet. Aber ich habe keine andere Wahl, weißt du. Kann ich hier rauchen?«
Sie werde die Sache mit Inspektor Chose schon in Ordnung bringen. Inspektor Chose sei unwichtig. Einzig und allein zählten – und Laure behauptete, sie habe seit einiger Zeit in jeder freien Minute darüber nachgedacht, bis sie plötzlich von einem unglaublichen, unwiderstehlichen Licht geblendet worden sei, das ihr die Augen geöffnet habe –, ja, einzig und allein zählten die Stärke und die Kraft der Bande, die sie in nächster Zeit mit ihrem Sohn um jeden Preis wieder anzuknüpfen gedenke.
»Was meinst du dazu?« sagte sie und versuchte Evy in ihrem Bann zu halten und drückte dabei energisch ihre Zigarette aus. »Hältst du das für unmöglich? Können wir nicht etwas finden, was uns ein bißchen über uns hinauswachsen läßt?«
Evy räusperte sich, stimmte mehr oder weniger zu und rutschte auf seinem Stuhl herum.
»Ich meine damit gegenseitiges Verständnis und Einvernehmen«, fuhr sie fort. »Ich möchte, daß wir eine einzigartige Beziehung unterhalten, du und ich, damit meine ich eine Beziehung, die ich mit niemand anders haben kann, ganz einfach, weil ich deine Mutter und du mein Sohn bist. Kannst du mir folgen? Niemand kann dich in meinem Herzen ersetzen, niemand. Ich wußte das natürlich, du kannst dir denken, daß mir das klar war. Aber nicht ganz so deutlich, nicht mit solcher Schärfe. Weißt du, manchmal hat man etwas vor Augen und sieht es nicht. Du hast das Recht, mir deshalb böse zu sein, ich mach dir daraus keinen Vorwurf. Du wirst mich wohl als Mutter erbärmlich finden, sag nicht nein.«
Er sagte, nein, da täusche sie sich. Zugleich zog er die Schultern ein und ließ so diskret wie möglich die Luft aus seinen Lungen entweichen – immerhin war er der Sohn einer Schauspielerin und eines Schriftstellers und hatte daher gelernt, sich in eine Rolle hineinzuversetzen oder sich zu verstellen, das zumindest verdankte er ihnen.
»Möchtest du ein Bier?« sagte er zu ihr.
»Was? Ein Bier? Warum nicht?«
Er stand sofort auf. Es war, als hätte er seine Mutter mit einem lähmenden Gas besprüht.
Es war bestimmt das erste Bier, das er ihr anbot, aber aller Anfang ist schwer. Er ließ Laure unter den Porträts von Gaby Gurlitch, die in der Abendluft an der Wand zitterten, auf seinem Bett sitzen.
André Trendel ging mit seinem Glas Gin in der Hand im Wohnzimmer ungeduldig auf und ab. Er wartete auf Richard, der anscheinend die Nacht in seinem Arbeitszimmer zu verbringen gedachte und nicht fähig zu sein schien, seinem Vater ein wenig Gesellschaft zu leisten, und das zu einer Stunde, zu der normale Menschen
Weitere Kostenlose Bücher