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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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seiner
Privatkabine. Was er jetzt brauchte, waren seine eigenen vier Wände, sein
bequemer Ledersessel, sein Morgenrock und ein starker Kaffee. Er bog um die
Ecke in eine Hauptstraße ein, wo ihn beruhigend normal das Gedränge der Passagiere
umfing. Zwei KamaSutra mit juwelengeschmückten nackten Körpern drängten sich an
ihm vorbei, und er fühlte sich schon wieder gut genug, um ihnen genießerisch
hinterher zu schauen.
    In diesem Moment griff eine
tätowierte Hand nach Janus und schubste ihn unsanft gegen die nächste Wand. Er
prallte mit dem Hinterkopf auf und sah einen riesigen, haarigen Brustkorb vor
sich, eine schwarze, nietenbesetzte Lederjacke. Irgendwo weit oben war ein
drohendes Gesicht, das vor allem aus Bart zu bestehen schien. Eine tiefe Stimme
knurrte altertümliche Kraftausdrücke. Der Mann gehörte ohne Zweifel zur
Harley-Gilde.
    „Tut mir leid, tut mir wirklich
leid“, hörte Janus sich sagen. „Was immer ich getan habe, es kommt bestimmt
nicht wieder vor.“
    „Das fällt dir ja früh ein,
Wichser“, höhnte der Muskelberg und schob ihn an der Wand ein wenig höher, so
dass seine Füße in der Luft hingen.
    „Hören Sie, ich bin ein Schamane,
wir suchen mit niemandem Streit.“
    „Klar, darum hast du dich eben vor
meiner Getrauten aufgebaut und sie eine rumhurende Schlampe genannt. Wann habt
ihr miteinander gevögelt, hä? Ich wette, du hast ihn nicht mal hochgekriegt, du
durchgeknallter Stromer.“
    „Was??“ Janus hatte nicht die
geringste Ahnung, wovon der Mann sprach. Er sollte eine Harley-Braut beleidigt
haben? Erneut schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er sich in einer
Gefängniszelle befinden musste. Das hier konnte einfach nicht in Wirklichkeit
passieren. Nur passte dieses absurde Drama nicht im Geringsten zu den Methoden,
mit denen die Justiz arbeitete. Es schien eher so, als würde sich jemand einen
furchtbaren Scherz mit ihm erlauben.
    „Ich versichere Ihnen“, sagte er
schwach, „ich habe Sie noch nie im Leben gesehen. Sie verwechseln mich. Bitte,
Sie müssen mir –“
    Der Harley gab ein Lachen von
sich, das eher nach einem Bellen klang, und rammte ihm seine Faust in den
Magen. Dann ließ er den Secundus wie einen Sack zu Boden fallen und trat ihm
mit der Stahlkappe seines Stiefels in die Seite. Als Janus herumgeworfen wurde,
sah er den Rest der Harley-Gang mit erwartungsvollem Grinsen auf sich zukommen.
Und er sah noch etwas anderes. Auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges
stand eine junge Frau in einem weißen Kleid. Sie schaute ihn ruhig an, und als
ihre Blicke sich trafen, stellte er fest, dass ihre Augen golden waren, ohne
Pupille.
     
    Nachtigall gab sich professionell
kühl, als Janus in die Krankenstation gehumpelt kam. Sie ließ ihren Patienten
eine Weile nackt im Untersuchungsraum stehen, bevor sie sich um ihn kümmerte.
„Bitte legen Sie sich unter den Scanner“, sagte sie im Befehlston.
    Janus gehorchte zögernd. Auf
Nachtigall wirkte er paranoid, was angesichts der vergangenen Stunden nicht
verwunderlich war. Sein Kopf verschwand in der vorgesehenen Metallröhre. „Das
gehört sonst nicht zu den Untersuchungen“, klang seine Stimme dumpf heraus.
    „Man hat Sie ziemlich
zusammengeschlagen. Ich will feststellen, ob Sie eine Gehirnerschütterung haben
oder ob das Implantat in Mitleidenschaft gezogen wurde.“ Sie stellte den Gehirnscan
ein und las konzentriert die ungewöhnlichen Daten, die das Implantat lieferte.
„Sieht bisher alles normal aus“, log sie ungerührt. Zumindest waren Janus
Gehirnströme wie sie sein sollten, nachdem Newton ihn ein paar Stunden auf
seinem Arbeitstisch gehabt hatte. Das Resultat war verblüffend. Soweit ihr
bekannt war, hatte noch nie jemand eine derartige Neuprogrammierung versucht.
    Newton hatte die Kalkutta-Illusion
fest im Implantat verankert, sie gewissermaßen direkt in Janus Gehirn
eingefüttert und dann mit seinem REM-Zyklus gekoppelt. Die Folge war, dass sich
Janus automatisch in den Slums wiederfand, sobald sein Gehirn in den
Schlafzustand umschaltete. Er war innerhalb seiner Träume gefangen, durchlebte
in einer Endlosschleife die Szenen seiner Stromhaft. Das vorgegebene Programm
vermischte sich dabei mit Erinnerungen und Bildern aus dem Unterbewusstsein,
und dieser Effekt würde sich bei jedem Einschlafen addieren und verstärken.
Nachtigall konnte sich vorstellen, wie es in Janus Unterbewusstsein aussah, und
war froh, nicht in seiner Haut zu stecken. Sie aktivierte den von Newton

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