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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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Garküchen trieb ihn
in hungernden Wahnsinn. Er versuchte zu blinzeln, und einige Sekunden lang
schienen sich die Häuserwände in der flirrenden Luft aufzulösen. Seine Gedanken
liefen dumpf und schleppend, er sollte nicht hier sein. Ein hilfloser Teil
seines Bewusstseins flüsterte ihm zu, dass er all dies schon einmal erlebt
hatte. Seine Augenlider flatterten, doch die Hitze ergoss sich in sein Gehirn
wie schmelzendes Blei und brannte jeden Widerstand aus seinem Körper. Die Wände
der Gasse um ihn herum verschoben sich träge, schienen sich atmend
zusammenzuziehen wie in einem Alptraum. Er hielt den Kopf gesenkt, um die
Auslagen der Händler nicht zu sehen, die mit schrillen Rufen ihre Esswaren
anpriesen: süße Mangos, Fischcurry und gefüllte Reisfladen. Der Hunger fraß
sich durch seine Eingeweide, jeder neue Krampf war ein glühendes Messer. Fast
wäre er mitten auf der Straße in die Knie gesackt. Eine verschleierte Frau
schob sich ungeduldig an ihm vorbei, und er stieß taumelnd gegen einen
Obstkarren. Drei reife Passionsfrüchte rollten zu Boden. Er hob sie nicht auf.
Nur ein einziges Mal hatte er versucht zu stehlen. Er wollte sich nicht an die
Folgen erinnern.
    Er sollte nicht hier sein.
    Der Gedanke kam und verschwand.
Seine Augenlider zitterten. Vor ihm öffnete sich ein Platz, gefüllt mit
Menschen, und in der Mitte stand ein hölzernes Podest. Er schaute starr daran
vorbei, ließ sich in eine Ecke zwischen weggeworfenen Hausrat, Tierknochen und
zerbrochene Ziegel sinken und stellte die Bettelschale vor seinen Füßen ab. Auf
dem Podest hatte man einen in Lumpen gekleideten Dieb festgebunden. Das laute
Treiben auf dem Platz konnte das Geräusch der Peitsche fast übertönen, aber
Janus zuckte dennoch bei jedem Schlag zusammen. Er sollte nicht hier sein.
    Er war gefangen in einem Alptraum,
all das war Vergangenheit. Er musste aufwachen. Er wand sich auf dem Boden,
seine Lider zuckten. Sein Körper verkrampfte sich.
    Mit einer unerhörten Anstrengung
riss er die Augen auf.
    Kalkutta verschwand. Um ihn war
Dunkelheit, und er fühlte orientierungslose Panik, als er blind um sich starrte.
Dann normalisierte sich sein Blick, bis er die dämmrige Halle der Schamanen
erkannte. Erleichtert sackte er zusammen. Er war in Sicherheit. Er hatte alles
unter Kontrolle.
    Janus setzte sich auf und
massierte sich die Schläfen. Die Erlebnisse hatten einen dumpfen Kopfschmerz
hinterlassen. Was für ein seltsam intensiver Traum, fast als hätte man ihn
erneut in den Strom gesperrt.
    Er konnte sich erinnern, in einer
Landschaft der Schamanen getrommelt zu haben, ein heller, nordischer
Birkenwald. Dann hatte die Szenerie gewechselt, und die Straßen von Kalkutta
hatten sich um ihn geschlossen. War er einfach nur eingeschlafen und in einen
Alptraum hinein geglitten? Alles schien so real, die Bilder brannten noch immer
in seinem Gedächtnis. Langsam gewöhnten sich seine Augen weiter an die
Schwärze, und er stellte fest, dass er allein war. Die Halle war leer. Verwirrt
schaute er sich um, und der Verdacht schlich sich in sein Gehirn, dass er noch
immer träumte. Die Schamanen verschwanden nicht einfach aus ihrem
Hauptquartier. Wenn diese Szene ein Teil seines Alptraums war ... wenn er jetzt
aufstand und aus der Tür ging ... wo würde er sich dann wiederfinden? In den
Slums oder an einem schlimmeren Ort … Er geriet langsam in Panik. Vielleicht
hatte er die Stromhaft nie verlassen, vielleicht gehörten all seine großartigen
Pläne – die Entführung Serails, die Rache an Randori – in Wirklichkeit zu
seiner Strafe? Er konnte nicht feststellen, ob die leere Halle um ihn herum
real war oder nicht. Es gab keine Möglichkeit zu unterscheiden, ob er sich mit
wachen Augen umsah oder ob diese Szene nur in sein Gehirn eingefüttert wurde.
    Sein Atem ging schneller,
stoßweise, dann unterdrückte er seine Furcht und stieß kontrolliert die Luft
aus. Er würde sich noch selbst in den Wahnsinn treiben, wenn er weiter in
solchen Schleifen dachte. Es gab sicher eine natürliche Erklärung dafür, warum
man ihn hier allein zurückgelassen hatte. Entschlossen stand er auf, um durch
die Tür zu gehen. Er wusste zwar nicht, was dahinter lag, aber er würde es
herausfinden.
    Die Tür schob sich auf, er biss
die Zähne zusammen ... Auf der anderen Seite war ein gewöhnlicher
Schiffskorridor. Janus lachte unsicher. Was hatte er auch anderes erwartet? Mit
federnden Schritten trat er in den Gang und marschierte in Richtung

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