Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
seit der Audienz beim Regenten vergangen waren, die Stimmung an Bord wesentlich
verändert. Jetzt, wo es einen gemeinsamen Feind gab, wurden die Streitigkeiten
beiseite geschoben und alle rückten zu einer gemeinsamen Front zusammen.
Die Gildenkammer hatte Randori
ihre Unterstützung zugesagt. Die Passagiere ließen sich ohne allzu viele Widerworte
zu den nötigen Vorbereitungen abkommandieren. Unter Leitung der Crew halfen sie
bei der Instandsetzung veralteter Waffensysteme und organisierten den Jubelempfang
für den Regenten. Auf einer Hauptstraße quer durch die Crewstadt und 1.2 Sappho
hatte man den Strom ausgeschaltet, so dass Nkosi dort ohne Implantat zurechtkommen
würde, und den Fußboden mit haltbaren Orchideenblüten bestreut. Ein paar
Tausend Passagiere hatten die Aufgabe zugeteilt bekommen, in prächtigster
Gildenkleidung zu applaudieren. Gleichzeitig waren jedoch andere Arbeitsgruppen
damit beschäftigt, das Schiff für einen Guerillakrieg zu mobilisieren.
Wer nicht an diesen Vorbereitungen
beteiligt war, der verfolgte die Nachrichten im Strom. In den Gängen war es
ungewöhnlich still geworden. Man spürte die Ruhe vor dem Sturm, das Schiff
schloss sich zusammen wie eine Faust.
Newtons Designer sorgten für die
Innenverteidigung. Sie bereiteten einen Krieg der Illusionen vor. Falls der
Regent das Schiff mit Gewalt unterwerfen wollte, würden sich seine Soldaten –
ungeschützt gegen den Strom – in einer Alptraumwelt aus Eisstürmen,
Raubtierdschungeln und Feuerhöllen voller qualvoll schreiender Menschen wiederfinden.
Blind für die Wirklichkeit würden sie sich mit den Händen vorantasten müssen,
um nicht gegen Wände zu laufen oder in Schächte zu fallen, die ihre Augen nicht
sahen. Während die Militärtrupps damit beschäftigt waren, gegen
nicht-vorhandene Feinde zu kämpfen, konnten Newtons Leute sie in aller Ruhe
unter Beschuss nehmen. Unter diesen Bedingungen war es fast unmöglich, das
Schiff zu erobern. Leider würde das Nkosi nicht daran hindern, die Arche
einfach von außen in Stücke zu schießen.
Deshalb war Newtons Guerillataktik
auch nur ein letzter Ausweg, falls die Lage wirklich verzweifelt wurde. Aber so
weit wollte Dschinn es gar nicht erst kommen lassen.
Sie warf über Lazarus Schulter
einen Blick auf die Instrumente. In etwas zehn Minuten würde der Flieger in die
Atmosphäre eintreten. „Steuern Sie auf den Äquator zu. Ich muss zu den
Korallengärten.“
„Schön, aber erst werden Sie mir
erklären, was Sie dort unten geplant haben“, sagte Lazarus unbeirrt. „Dann
bringe ich Sie gerne, wohin immer Sie wollen.“
Dschinn gab sich geschlagen. „Nun
gut, ich versuche, es in Worte zu fassen. Aber beschweren Sie sich nicht, falls
ich zu außerirdisch klinge. Also, ich habe Folgendes vor: Ich werde in den
Säulenwald hinunter tauchen. Dort werde ich den Menschen Caravan aus meiner
Gesamtseele heraustrennen, so dass er sich als ‘Leuchtfisch’ von mir fort
bewegen kann. Ich übergebe ihn der Strömung. Einer der Atmenden Türme wird ihn
verschlucken und die menschlichen Erinnerungen in sich aufnehmen.“
„Du hast was vor?“, fragte
Serail da ungläubig aus dem Hintergrund. „Du willst Caravan aus dir
herausschneiden? Haben sie dir völlig das Gehirn verstromt? Du kannst doch
nicht ernsthaft …“
„Nein, nein“, unterbrach Dschinn
hastig. Sie hatte erwartet, dass Serail so reagieren würde. Das war einer der
Gründe, warum sie ihre Erklärung bis zur letzten Minute hinausgezögert hatte.
Eilig sprach sie weiter, bevor er lange protestieren konnte. „Ich habe nicht
vor, Caravan zu verlieren. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich für kurze
Zeit von ihm zu trennen, aber ich will ihn auf jeden Fall wieder haben. Was
geschehen wird, ist Folgendes: Eine Gruppe von Kernzellen löst sich aus meinem
Körper. Sie enthalten Caravans DNA und seine gesamten Erinnerungen bis zum
heutigen Tag. Dieser Leuchtfisch ist so programmiert, dass er nur wie eine ‘Kopiervorlage’
benutzt werden kann. Das bedeutet, er lässt sich zwar verschlucken, aber der
Korallenturm wird ihn nicht behalten. Die Säule stellt stattdessen eine Kopie
der aufgefangenen Informationen her, und dann spuckt sie den Leuchtfisch wieder
aus. Meine Kernzellen haben damit ihre Aufgabe erledigt und sollten hoffentlich
zu mir zurückkommen. Die Säule schickt gleichzeitig einen eigenen Leuchtfisch
los, der die Botschaft zum nächsten Turm trägt.“
Serail sagte erst einmal gar
nichts. Es dauerte eine
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