Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
Horizont,
als sich ein weißer Schatten aus der Landschaft erhob. Kieme sah Zähne, Krallen,
spürte sein Fleisch aufreißen. Der scharfe Schmerz war eine neue Erfahrung und
so überwältigend, dass Kieme das Gefühl nur wenige Sekunden ertrug. Es schaltete
sein Nervensystem ab, während es verzehrt wurde. Interessiert sah es mit allen
noch vorhandenen Augen zu, wie sein Körper Stück für Stück verschwand und
schwarzes Blut auf das Eis tropfte. ‘Es ist gut, Ich zu sein’, dachte es, als
seine Persönlichkeit sich auflöste.“
Auf dem Planeten erwartete man
Randori bereits.
Sie hatte sich auf der
Landeplattform mit ihrem Piloten getroffen und kaum ein Wort gesprochen,
während sie auf Archensee zuflogen. Ihr Privat-Shuttle war verkabelt, und so
verbrachte sie die meiste Zeit im Strom und suchte nach Hintergrundinformationen
über das Unglück und über den Matrosen namens Caravan. Als die Türklappe der
Maschine geöffnet wurde, sah sie Flugleiter Lincoln im gleißenden Licht der
Nachmittagssonne stehen.
Das Shuttle hatte nicht aufgesetzt,
sondern einen Meter über der Erde angehalten. Sie musste hinunter springen und
wäre fast lang hingeschlagen. Der Boden gab unter ihren Füßen nach wie ein
elastisches Sprungtuch. Man konnte die Wellen darunter hindurchrollen fühlen,
es war, als wate man durch ein riesiges Wasserbett.
„Das hier scheint eine Art
Tangteppich zu sein“, sagte sie überrascht.
Lincoln nickte. „Das haben wir uns
auch schon überlegt. Aber die Pflanzenschicht ist dick und haltbar. Nach
unseren Messungen haben wir an jedem Punkt mindestens vier Meter unter den Füßen.“
Die Insel war zumindest stabil
genug, um ihr eigenes Ökosystem entwickelt zu haben. Randori trat in den
Schatten der Vegetation und schaute an einem hohen Stängel nach oben. Das Sonnenlicht
fiel blau gedämpft durch eine dünne Membran, die sich wie ein vom Wind
geblähtes Fallschirmtuch über ihrem Kopf wölbte. Ein feines Adernmuster schien
sich darin abzuzeichnen.
Lincoln warf einen Blick auf sein
Positionsgerät und bewegte sich zielstrebig vorwärts. Sie beeilte sich, ihm zu
folgen, und die Landschaft veränderte sich. Zuerst schwebten die Fallschirmpflanzen
noch recht vereinzelt in der Luft, aber je weiter Lincoln in den seltsamen
Dschungel vordrang, desto dichter wurde das Gestrüpp. Bald wuchsen die Pflanzen
so eng neben-und übereinander, dass sie wie eine einzige Kuppel aus
Seifenblasenhaut über Randoris Kopf hin und her trieben. Sie waren mit
Hunderten von Pflanzenstielen am Boden verankerten, die das Vorwärtskommen erschwerten.
Man musste das Lianengestrüpp wie einen Vorhang beiseite schieben, wodurch die
gesamte Ballondecke in taumelnde Bewegung geriet. Der Anblick machte Randori
ganz schwindelig.
Als sie an einigen jungen, niedrig
wachsenden Fallschirmen vorbeikam, sah sie, dass die blaue Membran tatsächlich
von einem Adern-und Blasenmuster durchzogen war. Unabsichtlich streifte sie
eines der perlmutternen Bläschen mit dem Ärmel. Es zerplatze, und eine Gaswolke
entwich zischend. Randori hielt sofort den Atem an und bewegte sich außer Reichweite.
Anscheinend wurde die ganze ätherische Konstruktion über ihrem Kopf durch
dieses Gas in der Schwebe gehalten, während Wind und Wellenbewegungen daran
zerrten und es in betrunkener Bewegung hin und herschwanken ließen.
Randori war ein wenig enttäuscht,
aber auch erleichtert, als sich der Dschungel wieder ausdünnte und Lincoln mit
einer Handbewegung anzeigte, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Sie traten auf
eine Lichtung. Eine kleine Gruppe von Menschen stand auf der freien Fläche und
bildete einen offenen Kreis. Als Randori sich hindurch schob, sah sie den
Matrosen Caravan in der Mitte hocken.
Er war nackt. Sein Blick war leer.
Er hatte sich zusammengeduckt und lallte wie ein Kleinkind.
Randori presste die Lippen
aufeinander. Auf einen solchen Anblick war sie nicht vorbereitet gewesen. Sie
hatte gehofft, den lästigen Kritikern einen geretteten, wenigstens halbwegs
präsentablen Matrosen vorführen zu können. Was war mit dem Mann passiert?
Sie entdeckte eine Frau in der
weißen Kleidung der Ärztegilde am Rand der Menge und winkte sie heran. „Haben
Sie ihn untersucht? Ich hoffe, Sie können mir sagen, was das medizinische
Problem ist.“
Die Frau nickte zögernd. Sie war
keine Spezialistin, nur eine einfache Gildefrau, und wirkte erleichtert, dass
nun ein Crew-Offizier die Sache in die Hand nahm. „Es scheint ein schwerer
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