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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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Material für die täglich angeforderten
Gebrauchsgegenstände zu liefern. Es war gut möglich, dass ihre Richterrobe
einmal ein Stahlträger aus 858.2 Kolumbus gewesen war.
    Jedenfalls gab es wohl niemanden
an Bord, der nicht von einer stillen, einsamen Einzelwohnung träumte, wie sie
nur den höchsten Offizieren zugeteilt wurde. Aber Randori hatte sehr bald
herausgefunden, dass es sich dabei um eine naive Vorstellung handelte. Die
Schiffsgeborenen waren das Gedränge von Kindheit an gewohnt und einfach nicht
mehr in der Lage, sich alleine in einem Raum wohl zu fühlen. Nach einer Woche
als Justizsenatorin hatte Randori sich eine Inkognito-Verkleidung zugelegt, den
Schleier einer Trauernden über ihr Gesicht gezogen und sich ihr Frühstück aus
dem nächsten öffentlichen Recycler geholt. Dann war sie geradewegs auf den
vollsten Esstisch in Sichtweite zugesteuert. Es fühlte sich unglaublich gut an.
    Einen Vorteil hatte ihre
Offizierskabine allerdings: Als Justizsenatorin hatte Randori einen angenehm
kurzen Weg zur Arbeit. Der Gerichtssaal war nämlich an ihre Wohnung angeschlossen,
so dass sich die streitenden Parteien auf neutralem Boden treffen konnten.
Randori musste vor allem zwischen ranghohen Kontrahenten vermitteln, es war
ihre Aufgabe zu verhindern, dass sich juristische Konflikte zu Gildenfehden
ausweiteten. Daher war es wichtig, dass der Gerichtsaal als Teil einer ‘Privatkabine’
eingestuft wurde, wo der Gebrauch von Waffen tabu war. Ein Duell zwischen
Gildenmeistern wäre dem Frieden an Bord kaum förderlich gewesen.
    Demnächst würde sie wohl umziehen
müssen, wenn ihr Nachfolger Tabac das Amt des Justizsenators übernahm. Doch gerade
heute stand noch einmal ein besonders heikler Fall auf ihrem Terminkalender.
    „Ich führe gleich eine Verhandlung
zwischen der Designer-Gilde und den Caesaren“, sagte sie zu Serails Schatten
hinter der Papierwand. „Sorg bitte dafür, dass dein Getrauter unsichtbar
bleibt, ja?“
    „Kein Problem“, beteuerte Serail,
„Caravan macht es Spaß, Verstecken zu spielen.“
    Wäre bekannt geworden, dass Caravan
bei ihr wohnte, hätte dieses Privileg nur neue Gerüchte über seinen ‘Unfall’
zur Folge gehabt. Daher verschwanden die Getrauten stets hinter der Papierwand,
wenn offizieller Besuch auftauchte, und lagen still auf ihrem Matratzenlager,
bis die Gefahr vorüber war.
    Sie blinzelte und stellte fest,
dass die Delegation der Caesaren vor fünf Minuten im Shuttle-Port von 1.1. Crewstadt
gelandet war. Die Leute würden gleich vor der Tür stehen. Randori fuhr sich ein
letztes Mal mit der Bürste durch die widerspenstigen Locken und rief zu Caravan
hinüber: „Es geht los.“
    „Ja, okay. Komm auf die Matratze,
Caravan, und lass uns ein bisschen kuscheln. Aber Psssst!“
    Caravan kicherte vergnügt, und die
Schattengestalten hinter dem Reispapier verschwanden, als sich die beiden auf
dem Bett ausstreckten.
    In diesem Moment klopfte es, und
Randori ließ mit einem Gedankenbefehl die Tür aufgleiten. „Seien Sie willkommen
in meinem Heim“, sagte sie förmlich.
    Die RomSenatoren traten streng
nach Rangfolge geordnet bei ihr ein. Als erstes kam der Kaiser der Caesaren,
dann sein Stellvertreter Secundus Janus. Er war der Angeklagte in diesem Fall
und trug Handschellen. Ihnen folgten vierzehn Männer in weißer Toga, die über
die verschiedenen Regionalgruppen der Gilde regierten. Der Kaiser schritt mit
übertriebener Würde auf Randori zu und küsste ihr die Hand. Er war ein durchschnittlicher,
beamtenhaft wirkender Mann, der in seinen Seidengewändern und dem schweren
Goldschmuck verkleidet wirkte. Randori musste sich daran erinnern, ihn nicht zu
unterschätzen. Sein Titel bewies, dass er ein verschlagener und gefährlicher
Gegner sein konnte. Bei den Caesaren herrschten die Sitten der Nero-Zeit, man
beschäftigte sich vor allem mit sexueller Unterwerfung, und Mord war ein
legitimes Mittel der Nachfolgeregelung.
    Die Caesaren hatten Randori schon
immer das Gefühl gegeben, nach jeder Begegnung ein ausgedehntes Schaumbad zu
benötigen.
    „Ich begrüße Sie auf neutralem
Boden“, sagte Randori höflich. „Bitte nehmen Sie Ihre Plätze am Runden Tisch
ein. Ihre Kontrahenten werden in vier Minuten hier sein, wie mir der Strom sagt.“
Sie wies auf die Tür zum Gerichtssaal.
    Als die Caesaren verschwunden
waren, schaute Serail um den Wandschirm herum. „ … und mir sagt der
Strom, du willst dich ausgerechnet mit Janus anlegen. Den Namen kenne sogar
ich, obwohl

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