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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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lebende Familie. Als der einzige Sohn Widerstand leistete, brach
Janus ihm die rechte Hand und behielt ihn eine Nacht zum Vergnügen bei sich.
Nach unseren Gilderegeln wäre das eine akzeptable Bestrafung für den Ungehorsam
des jungen Mannes gewesen.“ Der Kaiser verneigte sich noch einmal und setzte
sich.
    Randori hob die Augenbrauen. Sie
hatte nicht erwartet, dass die Ansprache so kurz ausfallen würde. Normalerweise
kämpfte ein Gildenmeister rücksichtslos für seinen Schützling. Eine Niederlage
für Janus bedeutete automatisch auch eine Niederlage für die Caesaren. Die Ehre
der gesamten Gilde stand auf dem Spiel.
    Aber dem Kaiser war seine eigene
politische Stellung anscheinend wichtiger. Der Secundus war, wie der Name schon
sagte, die Nummer Zwei in der Rangfolge und damit sein gefährlichster Konkurrent.
Die Verhandlung bot eine gute Gelegenheit, ihn ohne viel Aufhebens
auszuschalten. Randori war die Gleichgültigkeit des Kaisers ganz Recht. Das erleichterte
ihre Aufgabe.
    Sie wandte sich dem Gildenmeister
der Designer zu. Er hieß Newton, was für einen Gelehrten und Farbkünstler
sicherlich ein passender Name war. Aber Randori hatte den Verdacht, dass die
Taufpaten vor allem an die Entdeckung der Schwerkraft gedacht hatten, denn
Newton musste wahre Zentner wiegen. Er wirkte imposant, gutmütig und besaß die
gelassene Ausstrahlung eines chinesischen Buddhas. Randori hatte ihn selten
wütend erlebt. Aber heute war solch ein Tag.
    Newton wartete nicht ab, bis sie
ihn zu einer Antwort aufgeordert hatte. Er erhob sich, stützte sich auf den
Tisch und warf dem Kaiser seine Grußformel wie eine Duellforderung ins Gesicht.
„Ich bin der Oberste meiner Gilde. Im Namen der Gerechtigkeit vertrete ich Jazz,
Designermeister im ersten Jahr.“ Er sah zu dem Angeklagten Janus hinüber und
zeigte dramatisch mit dem Finger auf ihn. „Dieser Mann hat einen meiner besten
Schüler angegriffen, ihn zusammengeschlagen, schwer verletzt und vergewaltigt,
und ich werde lieber den Krieg ausrufen als zusehen, wie er ungestraft
davonkommt.“ Er ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen.
    Dieses Plädoyer war noch kürzer
gewesen als das vorige, dachte Randori grimmig, aber mehr brauchte Newton auch
nicht zu sagen. Ein Gildenkrieg zwischen zwei so mächtigen Organisationen wie
den Caesaren und den Designern war das letzte, was die Arche im Augenblick
gebrauchen konnte. Es war ihre Aufgabe, das zu verhindern.
    Als Erste Richterin musste sie
zwischen den streitenden Parteien vermitteln und eine Eskalation vermeiden. Die
eigentliche Gerichtsverhandlung hatte längst in einer anderen Instanz stattgefunden.
Janus war für schuldig befunden und verurteilt worden. Das Problem bestand
darin, tatsächlich die Vollstreckung der Strafe durchzusetzen. Der Secundus war
ein mächtiger Mann, und er hatte eine der aggressivsten und gefährlichsten
Gilden des Schiffes hinter sich. Bevor man das Urteil vollzog, musste
sichergestellt werden, dass die Caesaren nicht mit einer Blutfehde reagierten.
    Andererseits besaßen die Designer
unter allen Passagieren den höchsten Status und hatten ihren Einfluss auf die
politischen Entscheidungen der Crew in den letzten Jahrzehnten immer mehr
ausgedehnt. Die Gilde hatte Macht über die zwei wichtigsten Errungenschaften
der Schiffskultur: die Recycler und den Stromraum. Sie konnte das Leben an Bord
so angenehm oder unangenehm machen, wie es ihr gefiel. Ohne den ständigen
Nachschub an Vergnügungen und Konsumgütern, den die Gilde produzierte, würde es
in den Passagierstädten bald zu Unruhen kommen.
    Früher wäre es den Designern nie
eingefallen, diese Tatsache auszunutzen. Es hatte an Bord immer eine klare
Aufgabenverteilung gegeben. Bei der Evakuierung des Heimatplaneten hatte die
Crew das Schiff kommandiert, die Passagiere waren zu ihrer eigenen Sicherheit
der absoluten Befehlsgewalt der Besatzung unterstellt worden – und so war es
geblieben. Doch Newton war bei all seiner Freundlichkeit ein ehrgeiziger Mann.
Er hatte mit einer Mischung aus kleinen Gefälligkeiten und diplomatischem Druck
dafür gesorgt, dass die uralte Machtbalance ins Schwanken geriet. Seine Gilde
genoss inzwischen mehr Privilegien als alle anderen. Dieser Zustand war
gefährlich, und Randori entschied, dass es an der Zeit war, Newton in seine
Schranken zu verweisen.
    „Sie drohen mit Krieg?“, fragte
sie gleichgültig. „Das ist nichts, worüber man leichtfertig spricht. Die
Designer sollten sich überlegen, wie sie den Einfluss

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