Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

zu, was in der Realität geschah. Auf
Caravans Stirn waren ein paar Sekunden lang feine Narben zu sehen, dann verschwanden
auch diese spurlos. Der chirurgische Roboter gab ein schrilles Piepen von sich
und stellte sich ab. Für eine solche Situation war er nicht programmiert.
    „Gibt es ein Problem?“, fragte
Caravan.
    „Nein, alles in Ordnung“,
schwindelte Nachtigall. Sie hatte keine Ahnung, womit sie es zu tun hatte. War
Caravan ein medizinisches Experiment? Oder ein genetischer Zufall? Jeder Mensch
besaß Selbstheilungskräfte. Wenn man sich in den Finger schnitt, war am
folgenden Tag kaum noch etwas davon zu sehen. Die Antiqui-Behandlung beruhte auf
dieser Fähigkeit zur Zellregeneration. Aber eine derart beschleunigte Heilung
war einfach unmöglich.
    Es war frustrierend. Wie sollte
sie dem Matrosen ein Implantat einpflanzen, wenn die Operationsschnitte jedes
Mal wieder zuwuchsen? Sie beschloss, sich nur auf dieses praktische Problem zu
konzentrieren und über den Rest später nachzudenken. Später, wenn sie zu Hause
bei ihrer Getrauten war und sich die Anspannung aus den Schultern massieren
lassen konnte.
    Die Lösungsstrategie, die ihr am
Ende in den Sinn kam, war unorthodox. Aber schließlich war ihr Patient das
auch.
    „Matrose Caravan“, sagte sie, „da
Sie sich im Strom befinden, haben Sie die Operation verfolgt, nicht wahr?“
    „Ja“, antwortete der Crew
bereitwillig.
    „Können Sie Ihre Selbstheilungskräfte
steuern?“
    „Sollte ich das können? Ich erinnere
mich nicht.“
    Nachtigall besaß auf diese Frage
keine Antwort, aber zumindest war eine psychische Komponente nicht
unwahrscheinlich. Der menschliche Wille hatte einen enormen Einfluss auf den
Körper. Krebs wurde psychosomatisch geheilt, indem man den Patienten
beibrachte, das wuchernde Zellwachstum zu verlangsamen. Vielleicht besaß
Caravan die angeborene oder künstlich eingepflanzte Fähigkeit, sein Zellwachstum
zu beschleunigen, wenn es nötig war.
    „Ich werde jetzt die Operation
wiederholen“, erklärte sie. „Bitte, konzentrieren Sie sich auf das Bild im
Strom. Beobachten Sie, wie der chirurgische Laser seine Schnitte ausführt.
Daran ist nichts Gefährliches. Kein Grund, sich Sorgen zu machen oder Angst zu
haben.“ Ihre Stimme wurde sanft und beruhigend, fast hypnotisch. „Bleiben Sie
ganz entspannt und lassen Sie es geschehen. Ich möchte, dass Sie der Arbeit des
Lasers zuschauen und sich nicht dagegen wehren. Die Schnitte müssen offen
bleiben, bis das Implantat eingesetzt ist. Können Sie das für mich tun?“
    Caravan schaute mit den arglosen
Augen eines Kindes zu ihr auf. „Ich werde es versuchen.“
    „Gut.“ Sie stellte den
chirurgischen Roboter wieder auf ‘Start’ und blinzelte sich in den Strom. Mit
Spannung beobachtete sie, wie der Cerebral-Laser sich seinen Weg freischnitt.
Einen Moment lang sah es so aus, als würde sich das Gewebe erneut schließen.
Aber dann stoppte das Zellwachstum plötzlich. Nachtigall hielt den Atem an. Ihr
Patient schien tatsächlich Kontrolle darüber zu haben, was in seinem Körper
geschah. Würde die Kapitänin ihr erlauben, dieses wissenschaftliche Wunder
weiter zu erforschen? Sie zitterte fast vor Aufregung, aber ließ nichts davon
in ihrer Stimme mitklingen, als sie Caravan erklärte: „Gleich werden Sie sehen,
wie der chirurgische Roboter drei winzige, flache Scheiben in die Öffnungen
schiebt und mit bestimmten Nervensträngen verbindet. Wehren Sie sich nicht
gegen die Fremdkörper in Ihrem Kopf. Die Neuro-Chips sind wichtig für Ihre
geistige Gesundheit. Betrachten Sie das Implantat als einen Teil Ihrer eigenen
Anatomie.“
    „Okay“, murmelte Caravan
konzentriert.
    Sie beobachteten beide, wie die
Operation ohne Schwierigkeiten fortgesetzt wurde. „Na bitte, ein reiner
Routineeingriff“, seufzte Nachtigall. „Habe ich doch gleich gesagt.“ Sie wandte
sich ihrem Patienten zu und befahl: „Jetzt blinzeln Sie bitte im Rhythmus lang
– kurz – kurz. Dadurch wird das Implantat aktiviert und die Stromsicht
verschwindet.“ Sie klopfte den Dreiertakt auf den OPTisch.
    „Stimmt“, bestätigte Caravan und
zwinkerte wild, um die Realität abwechselnd ein-und auszuschalten.
    Nachtigall schob den chirurgischen
Roboter zur Seite und half ihrem Patienten beim Aufstehen. „Ich glaube, Sie
sollten Ihrem Getrauten keine Einzelheiten der OP erzählen“, riet sie ihm.
    Er runzelte die Stirn. „Warum
nicht?“
    Ihre Augen funkelten ein bisschen
boshaft. „Hm, wissen Sie was?