Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
vibrierenden
Schrei auf die Hinterbeine. Er hatte sich an seine Verteidigungswaffen
erinnert.
Bladerunner hielt sich in
respektvollem Abstand. Lauernd umkreiste es die gefährliche Beute. Das Tier war
größer als es selbst, und in dem zotteligen Fell waren brüchige Stacheln versteckt,
die in der Haut eines Angreifers stecken bleiben und ihn vergiften konnten.
Einen Moment lang zögerte Bladerunner. Ein Teil seiner komplizierten Psyche
mochte lebensmüde sein, aber dennoch trat sein Tiefenselbst in Aktion und gab
zu bedenken, dass ein normaler Sturmfänger niemals einen Bären angegriffen
hätte. Eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme war angebracht. Bladerunner
durchsuchte sein vererbtes Gedächtnis, und die Struktur seiner Haut veränderte
sich. Das ledrige Fleisch verhärtete sich zu einem elfenbeinfarbenen Schutzpanzer,
harte Platten, die wie Keramik glänzten.
Dann wischte es alle Bendenken
fort und sprang.
Seine Krallen bohrten sich in die
Schultern der Beute, mit den Zähnen biss es nach dem muskulösen Hals. Es fühlte
Giftstacheln auf seiner Haut kratzen, aber sie splitterten wirkungslos ab.
Bladerunner wurde von dem tobenden Bären hin und her geschleudert, während es
sich nur mit dem Oberkörper festklammerte. Es holte mit dem Schwanz aus und
peitschte die Schlittschuhkufe tief in den Bauch des Tieres.
Der Bär brüllte auf und versuchte
den Angreifer von sich herunterzuschlagen. Dann warf er sich lang auf den Boden
und wälzte sich. Bladerunner war fast hilflos in dieser Lage, konnte sich nur
festklammern. Ohne den Schutzpanzer wäre es verloren gewesen, von den Giftstacheln
aufgespießt. Das pure Gewicht des Bären reichte aus, um ihm auf Dauer die
Knochen zu brechen. Wütend säbelte es mit der Messerkufe, schnitt in jedes
Stück Fleisch hinein, das es treffen konnte. Blut überströmte das Eis und
machte den Boden glitschig, so dass sich Bladerunner unter der erdrückenden
Masse seines Gegners wieder bewegen konnte. Es rutschte zur Seite, hieb brutal
in andere Teile des Bärenkörpers hinein, und endlich erschlafften die Muskeln
seiner Beute. Das Tier war tot.
Bladerunner rollte sich unter dem
schweren Körper heraus und stieß sich mühsam mit den Armen vom Boden ab, um
wieder in die Senkrechte zu kommen. Es fuhr ein ständiges Achtermuster, während
es den Bären betrachtete. Sein Körper war nicht dazu geschaffen, still zu stehen.
Um in der Balance zu bleiben, musste es sich ohne Pause in Bewegung halten.
Schließlich drehte es sich
gleichgültig um und begann, wieder auf den Wall aus aufgetürmtem Eis
zuzufahren. Es war schon vor der Jagd satt gewesen, und außerdem mochte es kein
Bärenfleisch.
Bladerunner befand sich auf halber
Strecke, als ein leichtes Zittern durch den Boden lief. Sein Kopf hob sich
wachsam, und es spähte in die Weite. Es befand sich hier am Rand der gefrorenen
Polarkappe, wo Schollen abrutschten, zerbrachen und ins Meer davon trieben. Es
wusste, dass die gefährlichste Stelle genau diejenige war, auf die es
zusteuerte. Der Wall aus aufgetürmtem Eis markierte die Grenze, ab der sich die
Platten in ständiger Bewegung befanden. Aber dennoch glitt es weiter in
dieselbe Richtung.
Bladerunner stöhnte tief in der
Kehle und beschleunigte. Die verschiedenen Schichten seiner Psyche sandten
widersprüchliche Befehle. Wie ferngesteuert raste es auf sein Ziel zu, selbst
als das Eis unter ihm in dröhnende Bewegung geriet. Direkt vor ihm zersprang
die Oberfläche mit einem weithin schallenden Knall, und Bladerunner setzte nur
mühsam über die Spalte hinweg. Als der Boden unter ihm immer stärker zu
schwanken begann, bewahrte sein ausgeprägter Balancesinn es davor, das Gleichgewicht
zu verlieren. Es erreichte den Wall, hackte seine Krallen hinein und zog sich
mit der Kraft seiner Arme auf das Schollenlabyrinth.
Als es oben angekommen war, schaut
es zurück und stellte fest, dass der Riss, den es vor ein paar Minuten übersprungen
hatte, zu einem klaffenden Abgrund geworden war. Tief unten lag eine graue
Wasserfläche.
Bladerunner befand sich auf einer
Insel. Seine Welt war geschrumpft auf eine fünf Quadratkilometer große
Eisscholle, die langsam dem offenen Meer entgegen trieb.
Erleichterung breitete sich in ihm
aus, und das bohrende Gefühl in seinem Kopf ließ nach. Die Instinkte, die an
ihm gezerrt hatten, waren fürs erste befriedigt. Nachdenklich betrachtete es
das Festlandeis, das immer weiter in der Ferne verschwand, und seine Gefühle
glichen denen eines Zugvogels,
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