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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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wahrnahmen.
    Sein Getrauter hatte zwei Liegen
nebeneinander gestellt. Caravan sagte etwas hilflos: „Hallo“, als er ankam, und
schaute auf die Anordnung der Plätze. Fast alle Menschen auf der Insel hatten
jeweils eine leere Liege zwischen sich gelassen, um einen Höflichkeitsabstand
zu wahren. Aber er nahm an, dass diese Regel nur unter Fremden galt und dass es
in Ordnung war, wenn er sich direkt neben Serail niederließ. „Soll ich mich
jetzt ausziehen?“, fragte er.
    Serail schlürfte an einem Cocktail
und schaute zu ihm hoch. „Ja, ja, mach nur“, murmelte er an seinem Strohhalm
vorbei.
    Caravan nickte, streifte sein
loses Gewand ab – er bevorzugte Kleidung, für die man nicht erst eine Anleitung
brauchte – und setzte sich auf die Liege. Die waagerechte Fläche gab ein wenig
nach und federte. Vorsichtig ließ er sich in das Polster zurücksinken.
    Die Liege klappte plötzlich nach
hinten, er verlor das Gleichgewicht und konnte nur mit Mühe einen Anfall von
Panik unterdrücken. Er mochte keine Überraschungen! Und er hasste das Gefühl,
so hilflos auf dem Rücken zu liegen, inmitten einer Schar Unbekannter. Es war
der ‘Höhlenmensch-Alarm’, wie Serail es ausdrückte, wenn er wieder einmal das
Mittagessen misstrauisch beschnupperte oder sich in Randoris Kabine so
hinsetzte, dass er die Eingangstür im Auge hatte.
    Er trommelte mit den Fingern auf
der Armlehne herum, bis er sich aus purer Langeweile zu entspannen begann. Er
konnte sich fast schon einreden, das Inselleben zu genießen. Allerdings sah er
nicht viel davon, während er flach auf dem Rücken lag und die Saaldecke / den
wolkenlosen Himmel anstarrte. Er nahm seinen Mut zusammen und drückte einen
Knopf, um die Kopfstütze ein wenig aufzurichten.
    Die Rückenlehne klappte mit
Schwung nach oben, Caravan wurde nach vorne geschleudert und stieß einen
spitzen Schrei aus.
    „Was machst du da eigentlich?“,
fragte sein Getrauter ungläubig.
    „Überhaupt nichts“, knurrte
Caravan. „Alles unter Kontrolle.“
    „Ich weiß nicht, für mich sieht
das anders aus.“ Serail kicherte. „Soll ich dir die tückische Technik des
Neunzehnten Jahrhunderts erklären?“
    Caravan verzichtete auf eine
Antwort und setzte sich stattdessen neben der Liege in den Sand, um in sicherer
Entfernung alle Einstellungen auszuprobieren. Fußstütze hoch, runter, Lehne
absenken – „Ich habe gelernt wie man spricht, aufrecht geht und sich rasiert.
Ich werde auch mit einem Möbelstück fertig werden.“
    „Ja, wir können stolz auf uns sein.
Du bist ein echter Bilderbuchschüler.“ Serail lächelte selbstzufrieden. „Die
Ärztin wollte es gar nicht glauben, als du zur Nachkontrolle aufgetaucht bist
und sie als erstes in ein Fachgespräch über ‘multisensorische Stromdiagnostik’
verwickelt hast. Vor drei Wochen noch ein lallendes Baby und jetzt –“
    „Ich dachte, es würde Dr.
Nachtigall gefallen, wenn ich genauso rede wie sie. Normalerweise reagieren die
Leute erfreut, wenn ich ihr Verhaltensmuster kopiere. Aber sie war sehr unfreundlich.“
Er runzelte die Stirn.
    „Du hast sie erschreckt.“ Serail
spielte mit dem Strohhalm in seinem Cocktail. „Das ist kein Wunder, manchmal
erschreckst du sogar mich. Du hast dein Gedächtnis so schnell aufgefrischt,
dass ich fast vergessen könnte, was mit dir passiert ist. Du verhältst dich
völlig normal und unauffällig, selbst in Situationen, die dir fremd sind. Du
bist fast wieder derselbe wie vor deinem Unfall. Aber dann sagst du plötzlich
etwas, das Caravan nie gesagt hätte oder magst deine eigene Musiksammlung nicht
mehr. Mit einem Schlag bist du wieder ein Fremder für mich. Ich hasse das.“
    Caravan sah zu ihm hoch. „Ja, ich
weiß“, sagte er sanft.
    Er erinnerte sich an die ersten Tage
seines Schiffsaufenthalts. Nur von seinen angeborenen Instinkten geleitet war
er durch eine unbegreifliche Welt getaumelt und hatte sich so hilflos verwirrt
gefühlt wie ... (er lernte gerade erst, in passenden Vergleichen zu denken) ...
wie ein Kaninchen in einem Karnevalsumzug. In seinem Gedächtnis fand sich aus
dieser Zeit nur ein chaotischer Ansturm von Wahrnehmungen. Gerüche, die durch
sein Bewusstsein trieben, Farben und Formen, die er nicht verstand. Ohne
Serails stabile Nähe – eine Stimme, an der er sich festhalten konnte,
Berührungen, die Schutz versprachen – hätte er damals den Verstand verloren.
    Aber so hatte er die Welt um sich
zusammenfügen können wie die bunten Klötze eines Baukastens.

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