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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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Er hatte gelernt, auf diese Weise Interesse zu signalisieren.
    „Eine Gilde, die man nur selten zu
sehen bekommt“, erklärte sein Getrauter. „Sie leben im Strom, wohnen auf der
alten Erde an einsamen Orten, in Wüsten oder auf Berggipfeln. Normalerweise
kommen sie nicht mal in die Wirklichkeit zurück, um zu essen oder zu pinkeln.
Sie bilden Wohngemeinschaften, in denen abwechselnd einer den Auftrag hat, sich
um die körperlichen Bedürfnisse seiner weggetretenen Brüder und Schwestern zu
kümmern. In letzter Zeit sind sie öfter draußen, um gegen das Terraforming zu
protestieren. ‘Hände weg von fremden Ökosystemen’ usw. Dieser muss zur
Untergruppe der Schamanen gehören, siehst du die Tierknochen und die Trommel
neben seiner Sonnenliege? Er scheint seine Gildepersona nicht sehr ernst zu
nehmen, sonst wäre er nicht hier. Eigentlich sollte er sich in seiner Gemeinschaftskabine
die Finger blutig trommeln, die Naturgeister beschwören und um die erlösende
Auslöschung der Menschheit beten.“
    „Du scheinst diese Leute nicht
sehr zu mögen.“
    „Na ja, ich kann mit Fanatikern
nichts anfangen.“ Er zog die Mundwinkel nach unten und grollte mit tiefer Predigerstimme:
„’Wir haben unsere Welt aus eigener Schuld verloren, und unsere Strafe ist eine
Reise durch die Ewigkeit, die niemals, NIEMALS enden wird.’ – Tja, seitdem wir
unsere neue Heimat umkreisen, dürften die Eremiten ein echtes Glaubensproblem
haben. Die Schuld-und-Sühne-Hypothese hat sich wohl erledigt. Wahrscheinlich
hat der Schamane da drüben auch keine Lust mehr auf ewige Buße und liegt lieber
in der Sonne.“
    Es war, als hätte der Mann sie
gehört, denn gerade jetzt drehte er den Kopf zur Seite und starrte kalt zu
ihnen herüber. Caravan wurde von dem Blick eingefangen, wollte die Augen
abwenden und stellte fest, dass es nicht ging. Das hier war wieder einer von
diesen lästigen psychologischen Reflexen, die ständig sein Gefühlsleben
durcheinanderwarfen. Es machte ihn wütend, und er starrte entschlossen zurück.
Das mentale Tauziehen dauerte fast eine Minute. Dann drehte der Mann mit einem
Ruck sein bleiches Gesicht fort und musterte regungslos die Frau, die über ihm
hin und her schwang.
    „Das war richtig unheimlich“,
sagte Caravan.
    „Was? Ach, mach dir darüber keine
Gedanken. Die Eremiten sind eben etwas seltsam.“ Serail deutete in eine andere
Richtung. „Hast du da drüben die Pompadour mit ihrem Verehrer gesehen?
Passagiere haben wirklich kein Gefühl für Privatsphäre.“ Er rümpfte die Nase.
„Ich bin ja tolerant, was die Hetero-Gilden betrifft, aber müssen sie ihre
sexuellen Vorlieben unbedingt in aller Öffentlichkeit ausleben?“
    Caravan blickte zu dem Paar
herüber, das sich gerade aus seiner Seidenkleidung herausgeblättert hatte und
nun versuchte, gemeinsam auf einer einzigen Liege Platz zu finden. Serail hatte
nach dem Zwischenfall am Restaurant-Recycler wegwerfend gesagt, dass Pompadour
immer nur das Eine im Sinn hatten. Caravan hätte gerne näher beobachtet, was
das Eine war, aber die bohrenden Blicke des Eremiten gingen ihm nicht aus dem
Kopf, und er schaute noch einmal zurück.
    Der Mann war fort. Caravan
runzelte die Stirn. Das plötzliche Verschwinden des Schamanen machte ihn noch
nervöser als der vorherige Blickkontakt. Er versuchte, sich das Gefühl einer
lauernden Bedrohung zu erklären, aber es gab keinen logischen Grund dafür. Es
war einfach nur ... Instinkt. Er hatte sich lange genug auf seine Instinkte
verlassen müssen. Inzwischen hatte er gelernt, darauf zu vertrauen.
    Caravan wurde aus seinen Gedanken
gerissen, weil plötzlich ein nackter Mann neben seiner Liege stand. „Hallo
Schatz“, flötete er über ihn hinweg in Serails Richtung. Dann setzte er weniger
begeistert hinzu: „Hallo Caravan. Ich habe gehört, du hattest einen Unfall?“
    „Halb so schlimm.“ Caravan war
froh, dass es viele solcher nichtssagenden Floskeln gab. Wenn nötig konnte er
sich stundenlang mit jemandem unterhalten, ohne sich anmerken zu lassen, dass
er sich nicht mehr an den Betreffenden erinnerte. Er warf seinem Getrauten
einen Hilfe suchenden Blick zu, der bedeutete: Wer ist dieser Typ? Warum klingt
er, als wolle er mich in den nächsten Recycler schubsen?
    Serail sprang bereitwillig ein und
sagte mit einem breiten Grinsen: „Hallo Bijou, du bist also immer noch
eifersüchtig. Dabei habe ich gehört, du seiest glücklich verheiratet.“
    „Stimmt, seit drei Monaten.“ Der
andere klang ertappt.

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