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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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einzusetzen, speicherte er elektronisch
Informationen ab. Anstatt selbst zu denken, ließ er sich Antworten aus dem
Strom geben. Wie in diesem Fall, obwohl es höflicher gewesen wäre, auf ihre
Antwort zu warten. Sie wusste genau, was er im Strom finden würde, nämlich eine
Datei über Kleidung des beginnenden bürgerlichen Zeitalters. Außerdem eine neu
gegründete Gilde, die Anzug und Zylinder vorschrieb. Sie nannte sich …
    „Demokraten?“, fragte Serail
verblüfft. „Seit wann interessieren sich die Passagiere für Politik? Ich kann
nicht glauben, dass uns hier jeder Zehnte in Schwarz-Weiß entgegenkommt.“
    „Du bist wirklich schon lange
nicht mehr vor der Tür gewesen, oder?“, fragte Randori grimmig durch ihren
Sari-Schleier. „In den Passagierbereichen rund um Crewstadt ist es am
schlimmsten. Ich warte nur darauf, dass sie anfangen zu singen ‚Cą ira,
hängt den Adel an die Laternen’.“
    „Das ist nicht dein Ernst“, sagte
Serail mit leichter Unsicherheit in der Stimme.
    „Immerhin bringt jemand Crew um,
und keiner von den Passagieren scheint darüber besonders traurig zu sein.“
    Erst gestern war eine Matrosin
mitten bei einem Ramadan-Fest niedergestochen worden. In der anonymen Menge aus
Schadors und Burkahs konnte der Täter unerkannt entkommen. Niemand wollte etwas
gesehen haben.
    Ihre Gedanken wanderten weiter zu
dem frustrierenden Gespräch mit Newton. Statt auf ihre Fragen einzugehen, hatte
er ihr einen Vortrag über Revolutionstheorie, Überbau und Unterbau,
Volksherrschaft und freie Wahlen gehalten. Er hatte klar durchblicken lassen,
dass er nicht vorhatte, den Designer zu finden, der für die Herstellung der
Mordwaffe verantwortlich war. Seiner Meinung nach hatten die Crew sich den
Ärger selbst zuzuschreiben.
    Randori kniff wütend die Lippen
zusammen, während sie daran zurückdachte. Die Gildenmeister beschäftigten sich
mit Machtspielchen, während Menschen starben. Natürlich wollte Newton, dass die
Crew ihre Privilegien teilten, aber ganz sicher nicht mit dem Volk. Nein, die
Gildenmeister wollten selbst ein Stück vom Kuchen. Seit Newton den Vorsitz der
Gildenkammer übernommen hatte, war er zügig dabei, aus diesem Debattierclub
eine Einheit mit politischer Schlagkraft zu machen.
    Eine diplomatische
Meisterleistung, wie Randori widerwillig zugeben musste. Die Kammer bestand aus
den Führern sämtlicher Gilden, und ihre Temperamente konnten kaum gegensätzlicher
sein: die lebenslustige Herrin der Pompadour und der stocksteife Prälat der
Jesuiten; der Gottkönig der Azteken und der sanft ironische Lehrer der Shaolin.
Normalerweise hätte diese Mischung ausgereicht, um jede Versammlung nach fünf
Minuten explodieren zu lassen. Die Gildenmeister waren so zerstritten, dass sie
die Alleinherrschaft der Crew nie gefährdet hatten. Aber unter Newtons Führung
hatte sich das geändert, und nun gab es tatsächlich den Beginn einer geeinten
Front.
    Hätte sich Randori nicht mit
zwanzig Problemen gleichzeitig herumschlagen müssen, dann wäre es ihr leicht
gefallen, einen Keil zwischen die Fraktionen zu treiben und die Gildenkammer
wieder in einen aufgescheuchten Hühnerhaufen zu verwandeln. Doch im Moment
stürmte zu vieles auf sie ein.
    Sie musste sich um den
bürokratischen Aktenkram kümmern; sie hatte den Vorsitz am Runden Tisch der
Senatoren und musste die politische Leitlinie bestimmen. Außerdem verlangte ihr
Amt, dass sie hauptverantwortlich das Besiedlungsprogramm organisierte. Sie
überwachte ständig die Erkundung von Archensee und hoffte auf einen
Erstkontakt. Aber die Planetenbewohner hatten sich nach Caravans ‘Unfall’ nie
wieder gemeldet. Also musste Randori ihre ursprünglichen Zeitpläne völlig
umwerfen. Sie konnte die Passagiere nicht auf einen Planeten schicken, der vielleicht
von unbekannten und unberechenbaren Wesen bevölkert war. Diese Verzögerung
verschärfte die Unruhe in den Städten, und in den Passagierquartieren brodelte
es vor Ungeduld. So gab es tägliche Kleinkriege, Amoks, grummelnde Gildenmeister,
Ökodemos, Gegendemos … und in ihrer Wohnung saß ein Matrose, der alles Mögliche
sein konnte, nur nicht menschlich. Manchmal fragte sich Randori, ob sie sich
übernommen hatte.
    Als sie an diesem Punkt ihrer
täglichen Litanei angekommen war, räusperte sich Serail neben ihr und sagte
nervös: „Oh, oh.“
    Randori schaute alarmiert hoch. Am
Ende des Korridors war eine Massenschlägerei zwischen gut hundert Personen
ausgebrochen. Der Mob füllte

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