Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
Vom Netzwerk:
den ganzen Gang und bewegte sich langsam in ihre
Richtung. Ihr Mund wurde trocken, und sie trat unwillkürlich einen Schritt
zurück.
    Aber sie brachte die aufwallende
Angst schnell unter Kontrolle. Kein Grund für eine Panikreaktion. Wenn sie nur
genug Abstand hielt, würde es eine spektakuläre Show werden. So etwas sah man
schließlich nicht alle Tage. Interessiert musterte sie die Passagiermenge, die
sich gegenseitig die Zähne einschlug. Sie entdeckte mehrere langhaarige
Eremiten und viele Leute mit rußigen Gesichtern in Mönchskitteln aus
Sackleinen. Die Fronten in dem Kampf waren nicht klar zu erkennen. Eine
Demokratin war gerade dabei, einen Mann der eigenen Gilde zu würgen. Ein Schamane
drosch mit einem Demo-Plakat auf einen Passagier ein. Das Schild trug die
Aufschrift ‘Rettet Archensee’. Der Passagier brüllte: „Rette dich selbst, du
Ökoarsch!“, und boxte den Schamanen zu Boden. Vereinzelte Polizeikräfte
versuchten vergeblich, die Schlägerei unter Kontrolle zu bringen.
    „Willst du nicht eingreifen“,
fragte Serail, „und ein kommandantisches Machtwort sprechen?“
    „Lieber Himmel, nein. Solange die
Passagiere sich untereinander in die Haare kriegen, soll mir das Recht sein.
Hast du die beiden Demokraten gesehen? Ist wohl nicht weit her mit der Brüderlichkeit.
Vive la fraternité.“ Sie lächelte wölfisch.
    Die kämpfende Menge hatte sie fast
erreicht. Jetzt war es Zeit für einen strategischen Rückzug. Sie wich eilig
nach hinten aus, doch es war schon zu spät. Ein Metalpunk mit blutrotem
Irokesenschnitt hatte sie bemerkt und kam mit einem Grinsen der Vorfreude auf
sie zumarschiert.
    Serail kreischte „Iiiek“ und
verdrückte sich hinter ihren Rücken.
    „Du bist nicht gerade ein Held,
oder?“, fragte die Kapitänin.
    „Wer von uns beiden hat einen
Namen aus dem Kampfsport?“
    „Okay, da hast du wohl Recht.“
Randori lachte, was den Punk einen Moment innehalten ließ. Er war es nicht
gewohnt, dass sich jemand in seiner Gegenwart freute. Aber er war auch
nicht so intelligent, sich ein anderes Opfer zu suchen. Mit einer ausholenden
Bewegung wollte er Randori an die Wand klatschen.
    Sie war nicht mehr da.
    Der Schlag ging ins Leere und ließ
ihn kurz die Balance verlieren. Randori griff blitzschnell von der Seite zu,
packte sein Handgelenk und drehte es in einer schmerzhaften Hebelbewegung nach
unten. Der Mann wurde von seinem eigenen Schwung mitgerissen. Er überschlug
sich und krachte auf den Boden.
    „Du solltest besser liegen
bleiben“, warnte Randori. Dabei hoffte sie sehr, dass er nicht auf sie hören
würde. Sie genoss den Adrenalinschub. Eine Prügelei war genau, was sie jetzt
brauchte. Auch wenn ihr Aikido-Lehrer über ihre Angriffslust den Kopf schütteln
würde. Hier war ein Problem, dass sich einfach bewältigen ließ. Keine
politischen Manöver, keine versteckten Fallgruben. Nur ein muskelbepackter
Angeber, mit dem sie den Boden wischen konnte.
    Wie erwartet ignorierte der
Metalpunk ihre Warnung. Wutschnaubend rappelte er sich hoch, und sein Gesicht
war so rot wie sein wippender Hahnenkamm. Er hielt plötzlich ein recyceltes
Haushaltsmesser in der Hand. Damit es weniger nach Küchenarbeit aussah, hatte
er die Schneide bemalt, als würde Blut davon abtropfen. Randori hob ironisch
eine Augenbraue.
    Der Punk knurrte in antikem Slang:
„Isch mach disch fertisch, Tusse.“ Er hob den Arm und ging wieder auf sie los.
    Sie unterlief ihn, wobei der
Größenunterschied ihr zugute kam. Als er zu ihr herumwirbelte, beschleunigte
sie sein Drehmoment und schmiss ihn mit einer eleganten Bewegung gegen die
Wand. Er prallte ab und landete zum zweiten Mal auf dem Boden. Dort lag er auf
dem Bauch und schnappte nach Luft. Randori ließ sich mit dem Knie in seine
Seite fallen und drehte seinen Arm so, dass er in dieser Stellung festgenagelt
war. Sie beugte sich über ihn und sagte freundlich: „Es heißt, Aikido sei keine
Kampftechnik, sondern eine praktische Philosophie, die Schlägertypen die
Sinnlosigkeit von Gewalt näher bringt.“ Der Metalpunk grunzte und versuchte
sich aus ihrem Griff zu winden. Sie veränderte ihre Handstellung ein bisschen,
woraufhin er zusammenzuckte und still lag. „Also“, sagte sie mit engelhafter
Stimme, „wie heißt das Zauberwort?“
    „Äh …es tut mir leid?“, murmelte
der Mann.
    „Fein, das machst du sehr gut.“
Sie stand auf und trat einige Schritte zurück, während der Metalpunk sich
aufrappelte und seine Knochen betastete. Er

Weitere Kostenlose Bücher