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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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schüttelte den Kopf wie ein
zorniger Stier, so dass sein Haarkamm hin und her peitschte, und ballte die
Fäuste. Aber dann gewann sein Selbsterhaltungstrieb die Oberhand, und er warf
sich lieber wieder in die allgemeine Schlägerei.
    Serail schälte sich von der Wand,
an die er sich gedrückt hatte. „Hey, das war ziemlich beeindruckend. Können wir
jetzt gehen?“
    Randori grinste. Das Adrenalin in
ihren Adern gab ihr das Gefühl, als stände ihr Körper unter Strom. Sie wippte
unternehmungslustig auf den Zehenspitzen. „Erst will ich wissen, was hier
eigentlich los ist.“ Sie ließ ihren Blick über die Menge wandern, wo sich
allgemeine Erschöpfung breit machte. Die Hiebe wurden mit weniger Schwung
ausgeteilt, und der Fußboden war mit Bewusstlosen übersät wie nach dem
Saloonfight eines Westernstroms. Sie ging schnurstracks zu einem der Crewpolizisten
und tippte ihm auf die Schulter. Der Mann fuhr herum und hätte ihr fast seinen
Schlagstock über den Kopf gezogen. Tänzerisch wich sie aus. „Huh, ganz ruhig.
Ich bin nur eine harmlose Passantin.“
    „Sind Sie lebensmüde?“, fauchte
der Crew. „Ich sollte Ihnen aus Prinzip eine reinhauen.“
    „Entschuldigen Sie. Ich wollte nur
wissen, worum es bei diesem Aufruhr ging“, erklärte sie betont höflich. Die
Atmosphäre war so aufgeheizt, dass sie leicht von einer Konfrontation in die
nächste geraten konnte, ohne es zu wollen. Nach der vorigen Begegnung brauchte
sie nicht noch einen Mann als Punchingball.
    Der Crew war weniger zurückhaltend.
„Ich habe Besseres zu tun, als mich mit einer Pass zu unterhalten“,
sagte er verächtlich und ließ sich das Schimpfwort auf der Zunge zergehen. Dann
spuckte er auf den Boden.
    Randoris Miene gefror hinter dem
Schleier. „Sie haben eine seltsame Einstellung für einen Polizisten.“
    „Du hältst mich wohl für deinen
Freund und Helfer, oder was?“ Sein Grinsen wurde dreckig. „Ich würde dir höchstens
aus dem Sari helfen, Schätzchen.“
    Randori geriet wieder in
Kampflaune. „Leute wie Sie sind der Grund, warum wir eine Arche voller
zylindertragender Demokraten haben.“
    „Sieh mal an. Auch noch vorlaute
politische Ansichten?“, sagte er drohend.
    Welcher Ausbilder hatte diesen
Idioten durch die Polizeiprüfung gelassen? Sie musterte den Crew von oben bis
unten, stromte sein Bild in die aufnahmebereiten Wände und lud die dazugehörige
Personalakte herunter.
    Währenddessen schwadronierte er
ungehemmt weiter: „Ihr Leute wisst einfach nicht, wo euer Platz ist. Nämlich
ganz unten. Demokratie“, er spuckte das Wort aus. „Als wenn eine Pass genug
Hirn hätte, um sich selbst den Arsch abzuwischen. Du glaubst also, du hast auf
diesem Schiff was zu sagen, ja?“
    Randori entschied sich für einen
schnellen Todesstoß. „Stimmt. Ich regiere es zufällig.“
    Der Crew hatte zu einer neuen
Tirade Luft geholt und verschluckte sich fast. „Was?“, fragte er hüstelnd.
    Randori hob ihren Schleier und
funkelte ihn an. „Sie haben sich gerade überhaupt keinen Dienst erwiesen,
Matrose Baskerville.“
    „Matrose?“, stotterte der Crew.
„Ich bin kein …“
    „Glauben Sie mir“, sagte sie kühl.
„Seit zwei Minuten sind Sie genau das.“
    Er sackte in sich zusammen.
„Natürlich, Kapitänin.“
    „Also, vielleicht haben Sie jetzt die Freundlichkeit, meine Fragen zu beantworten?“
    Der degradierte Polizist nickte
stumm.
    Randori zog den Schleier zurück
über ihr Gesicht. „Ich würde immer noch gerne wissen, was der Grund für diesen
Aufruhr war.“
    „Heute ist Walfangtag“, erklärte
der Crew in knappem Polizeiton.
    „Walfangtag? Das hat doch seit
Jahrzehnten niemanden mehr interessiert.“ Randori runzelte die Stirn. Was hatte
das Aufleben dieses alten Ritus zu bedeuten? Sie konnte sich erinnern, dass
ihre Großmutter sie einmal zu den Opfergängen mitgenommen hatte, als die
Tradition schon am Aussterben war.
    Als Kind war sie tief beeindruckt
von dem düsteren Ernst der Zeremonien gewesen, und die Bilder hatten sich in
ihr Gedächtnis eingebrannt. Büßer mit aschegeschwärzten Gesichtern schleppten
schwere Holzkreuze durch die Gänge. Hinduistische Pilger stachen sich Metallhaken
durch die Rückenhaut und zogen an Schnüren befestigte Reliquienwagen hinter
sich her. Darin lagen auf Samtkissen einzelne Tierknochen oder getrocknete
Pflanzen, Überreste des zerstörten Planeten. Die Gesichter der Menschen
glänzten in Ekstase. Es war grauenhaft und wundervoll zugleich.
    Erst jetzt wurde

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