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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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Bladerunner
besaß es die doppelte Menge an Gen-Informationen, die doppelte Wandlungsfähigkeit
und die doppelte Intelligenz. Es war jetzt selbst auf dem Entwicklungsstand
eines Ahnen. Doch ihm fehlte das nötige Wissen, um dieses Potenzial voll
entfalten zu können. Im Augenblick konnte es nichts anderes tun, als so weiterzuleben
wie vorher: gefangen in der Form und dem Instinktverhalten eines Tieres.
    Dieser Zustand war erträglich
gewesen, so lange es seine wahre Natur kaum gekannt hatte. Vor der Verwandlung war
es sich selten bewusst gewesen, mehr als ein Schneckengeschöpf unter dem Eis
oder ein Sturmfänger auf Beutejagd zu sein. Doch jetzt hatte sich das geändert.
Sein Tiefenselbst bäumte sich dagegen auf, von der Biologie seines
Hüllenkörpers beherrscht zu werden. Es wusste, dass es eine Möglichkeit gab,
seine tierischen Instinkte an-und abzuschalten, seine Gleiterform unbegrenzt
zu verwandeln, seinen Geist für mehr als Jagen, Fressen und Paaren zu
gebrauchen. Nur hatte es keine Erinnerung daran, wie sich dieser Entwicklungssprung
bewerkstelligen ließ.
    Der Andere besaß die nötigen
Erinnerungen. Er benahm sich unabhängig, frei von Instinktzwängen; er musste
eine alte Seele haben, in der das Wissen eines Ahnen gespeichert war. Passat
brauchte diese Seele, um aus seinem eingeschränkten Dasein ausbrechen zu können,
und es war ihm gleichgültig, wie es sie bekam.
    Mehrere Tage wartete Passat
lauernd darauf, dass sich der Andere vom Schwarm entfernte. Dann folgte Passat
seinem Flugweg, mehrere hundert Meter höher, um nicht bemerkt zu werden. Sein
Selbst hatte die Persönlichkeit Bladerunners angenommen und lauerte fiebernd
vor Erregung auf den Beginn der Jagd. Es hielt sich zurück, bis der Andere ganz
in seine einsamen Flugspiele vertieft war. Erst dann ließ es sich ruckartig
fallen. Der Aufprall ließ den Anderen vor Schmerz aufschreien.
    Passat umschlang ihn mit den
Schwingen wie bei einem Paarungsflug und hielt ihn fest. Ihm gefiel das Gefühl,
wie der gefangene Gleiter zuckte und um sich schlug. Gierig grub es seinen Mund
in die Hautmembran. Fast tat ihm es leid, den Kampf schon zu beenden. Passats
Hüllenkörper öffnete sich am Kopfbereich und presste die Kernzellen hervor, die
seine Seele trugen. Mit Gewalt begann es, zwölf Kernzellen in das Fleisch des
Anderen zu drücken.
    Der Ahne würde gezwungen sein, im
Gegenzug einen Zwölfteil seiner eigenen Seele auszustoßen. Sonst riskierte er
eine gefährliche Überreaktion, denn der Besitz von zu vielen Kernzellen stürzte
das Ich ins Chaos. Der Andere musste die kritische Masse absondern, wenn er keinen
bleibenden Schaden davontragen wollte. Passat würde sich die fremden Zellen
einverleiben und damit einen großen Teil der Persönlichkeit des Anderen
besitzen, seiner Erinnerungen und seiner gesammelten Gen-Informationen
    Fast war ihm die Vergewaltigung
gelungen, und es fühlte wilden Triumph ... da verwandelte sich der Körper des
Ahnen in seiner Umklammerung. Passat spürte etwas Schuppiges, Dorniges zwischen
seinen Flügeln, das mit unwiderstehlicher Kraft seinen Griff auseinander riss.
Es sah spitze Zähne und vier wirbelnde Messerschwingen; sie durchschlugen mit
präzisen Hieben die Membran seiner Heliumblase.
    Das Gas entwich zischend, Passat
verlor die Kontrolle über seine Flugbahn. Es breitet seine zerfetzten Flügel
aus, um den Fall zu bremsen und wusste bereits, dass das nichts nützen würde.
Zum zweiten Mal in wenigen Tagen fiel es kilometertief auf die Oberfläche des
Planeten zu.
    Es überschlug sich mehrmals,
stürzte mit dem Rücken nach unten und sah wie in Zeitlupe dabei zu, wie der
Zwölferteil seiner Seele am Himmel verglühte. Seine ungeschützten Kernzellen
bildeten eine leuchtende Sternschnuppe, und direkt davor schwebte der Andere.
Er beobachtete nachdenklich, wie das Selbst seines Angreifers in der Leere
starb. Dann gab er sich einen Ruck, fing die Zellen mit den Flügeln auf und
versenkte sie im eigenen schützenden Körper. Passat schloss die Augen.
    Wäre es tatsächlich ein
Heliumgleiter gewesen, hätte es diesmal den Aufprall nicht überlebt. Sein
Tiefenselbst war durch den Verlust der Kernzellen geschwächt, die einen großen
Teil seiner Gen-Erinnerungen enthielten. Beinah wäre es Passat nicht gelungen,
seine Form anzupassen. Doch als es die Meeresoberfläche durchschlug, war die
Unterseite seines Körpers mit einem keramikartigen Schutzpanzer versehen, und
nur die Reste seiner Flügel wurden vom Widerstand des

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