Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
erwachte.
„Dieser Unsichtbarkeitstrick … der
könnte sehr nützlich sein, um jemanden auszuspionieren. Genau weiß ich noch
nicht, wie ich dich einsetze, aber ich werde mir schon etwas einfallen lassen.
Du bist im Moment meine Allzweck-Geheimwaffe.“ Sie ging an den Recycler und
holte sich ihre Ausgehkleidung. Diesmal war es ein weinrotes Kleid aus schwerem
Stoff und eine passende Kopfhaube, die ihre auffällige Lockenmähne bedeckte.
Sie zog einen an der Haube befestigen Schleier übers Gesicht und sagte: „Fertig
ist das Burgfräulein. Also, kommst du mit?“
Caravan nickte seufzend und folgte
ihr auf den Flur. Was blieb ihm anderes übrig? Wenn er jetzt nicht nachgab, würde
sie ihn den Rest des Tages bearbeiten.
Sie gingen den fast menschenleeren
Gang hinunter. Nach einer Weile gelangten sie an ein massives Schleusentor, das
zu einer Schnellstraße führte. Randori trat ein und winkte Caravan
hinterherzukommen. Nichtsahnend gehorchte er, und sowie er im Innenraum stand,
schlossen sich die Metallflügel hinter ihm mit einem dumpfen Krachen.
Caravan fuhr überrascht und und
misstrauisch herum. Gerade wollte er Randori fragen, was hier vor sich ging, da
schaltete sich die Schwerkraft ab. Unerwartet verlor er den Boden unter den
Füßen und stieß einen erschrockenen Schrei aus. Er segelte bis an die Decke,
landete dort auf allen Vieren, und sein Magen rebellierte, als die Welt
plötzlich auf den Kopf gestellt wurde.
Sein Herz klopfte bis zum Hals.
Wenn das ein Teil von Randoris Ablenkungs-Taktik war, dann funktionierte sie. Im
Moment war Liebeskummer das Letzte, an was er dachte. Serail hatten Caravan nie
zu einer Schnellstraße mitgenommen. Nun wusste er auch, warum. Vermutlich hätte
er ihm das Mittagessen vor die Füße gespuckt. Aber inzwischen hatte er glücklicherweise
eine größere Kontrolle über seine Körperfunktionen. Er regulierte den Gleichgewichtssinn
des Innenohrs, und das Schwindelgefühl verschwand.
Das Tor vor ihm schob sich seitwärts
auf. Vorsichtig folgte er Randori aus der Kammer heraus. Vor ihm lag gigantisch
und hektisch die Schnellstraße.
Staunend schaute er in die Ferne.
Die gewaltige Metallröhre schien sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken.
Es herrschte ein enormer Verkehr, ein verwirrendes Chaos aus fliegenden Körpern
rauschte an ihm vorbei. Im ersten Moment war der Eindruck zu überwältigend, um
eine Ordnung in dem Gedränge auszumachen. Dann durchschaute er allmählich das
System.
In der Mitte der Röhre zählte er
fünfundzwanzig Flugbahnen, die in fünf Reihen übereinander und fünf Reihen
untereinander gestaffelt waren. Jede Bahn wurde rechts und links durch eine
frei in der Luft hängende Geländerstange markiert. Zwischen diesen waagerechten
Stangen bewegten sich die Menschenketten im schwerelosen Flug.
Er presste sich eng an die Wand,
um keinen der Vorüberkommenden zu behindern, und analysierte die Fortbewegungsweise.
Man ergriff eine Stange, holte daran Schwung und stieß sich ab, um eine Strecke
vorwärts zu gleiten. Allmählich ließ man sich auf die andere Begrenzungslinie
zudriften, zog sich auch dort vorwärts und flog wieder auf die erste Stange zu.
Durch diesen Links-Rechts-Rhythmus ergab sich eine schwingende Pendelbewegung
innerhalb der Spur. Es wirkte recht einfach.
„Der Flug ist nicht so leicht, wie
er aussieht“, sagte in diesem Moment Randori, als habe sie seine Gedanken
gelesen. Die Kapitänin hatte die Zeit genutzt und ihren Rock mit Hilfe eingenähter
Klettstreifen in eine Art Pluderhose verwandelt. Caravan konnte sich
vorstellen, was passierte, wenn man mit einem Kleid eine Bremsung versuchte.
Sie würde ihren Rock nicht mehr über dem Hintern sondern über dem Kopf sitzen
haben. Er verscheuchte seine menschlich frivolen Gedanken und hörte ihren
Anweisungen zu. „Man muss ein Gefühl für die richtige Geschwindigkeit bekommen,
damit man nicht die Kontrolle verliert. Warst du vielleicht mal mit Serail im
Schwimmbad? Kennst du das Gefühl, dich im Wasser an der Begrenzungsleine mit
den Bojen entlang zu ziehen? Anscheinend nicht. Okay, jedenfalls solltest du
keine plötzlichen Manöver oder Tempowechsel versuchen. Am besten, du hältst
dich hinter mir und imitierst alles, was ich tue. – Darin hast du schließlich
Übung.“ Sie wartete, bis sich in der nächstliegenden Spur eine Lücke im Verkehrsstrom
bildete. Dann stieß sich von der Wand ab, segelte durch den Raum und landete
elegant an der Griffstange. Caravan tat es ihr
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