Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
Bord, von der menschlichen Fantasie,
die einen kahlen Metallblock in Tausende unterschiedlicher Welten verwandelt
hatte. Der größte Teil dieser Stadt war im Stil des Naturalismus gehalten, und
man hatte sich die Mühe gemacht, die Gänge nicht nur im Strom sondern auch in
Wirklichkeit zu verschönern. Die Metallwände waren mit einer Verkleidung
überzogen, die wie knorrige Rinde oder senkrechte Grasflächen mit
herauswachsenden Frühlingsblumen aussah. Kleine Bäche plätscherten an den Wegen
entlang und gaben dem Stadtteil eine heitere Atmosphäre. Die Rinnsale sammelten
sich bei den Restaurantplätzen zu flachen Teichen, an deren Ufer die Passagiere
picknickten. Überall saßen Grüppchen und machten Siesta. Auf den Wolldecken
waren Leckerbissen ausgebreitet, vom Reyclerprogramm ‘Überraschungskorb’
zusammengestellt, die schon von weitem verführerisch dufteten. Eine
Frisbee-Scheibe sauste an Dschinn vorbei und hätte sie fast aus der Luft
geholt. Die Wege waren verwinkelt, das ganze Stadtgebiet ähnelte einem
Gartenlabyrinth. Doch Dschinn geriet keinen Augenblick in Gefahr, die Orientierung
zu verlieren. Allmählich fühlte sie, wie sich ihr Bladerunner-Ich in der
sonnigen Atmosphäre entspannte und zurückzog, so dass Caravans Menschlichkeit
wieder die Oberhand gewann.
Plötzlich trat eine in Naturleder
gehüllte weibliche Gestalt aus einem Erker heraus, packte den Eremiten am Arm
und zog ihn in einen Seitengang. Dschinn hörte sie scharf flüstern: „Falkenhorst!?
Warum kommst du schon jetzt?“
Die Frau war trotz ihrer
Verwahrlosung eine beeindruckende Erscheinung. Die Eremiten kümmerten sich
nicht um ihren Körper, sie konzentrierten sich auf geistige Belange. Soweit
Dschinn hatte feststellen können, waren die zwei Untergilden, die sich
‘Schamanen’ und ‘Fakire’ nannten, besonders dogmatisch. Die Frau starrte vor
Schmutz. Aber sie hatte eine stolze Haltung, und die brennenden Augen in ihrem
blassen Gesicht gaben ihr eine besondere Art von Schönheit. Die Haare fielen in
einer wilden Mähne bis fast auf den Fußboden herab.
„Ich konnte unseren Kontaktmann
nicht ansprechen.“ Falkenhorst klang nervös und unterwürfig. „Ausgerechnet
Randori ist bei der Tribüne aufgetaucht. Ich glaube, sie hat Verdacht geschöpft.“
„Natürlich hat sie Verdacht
geschöpft. Wir benutzen schließlich Designer-Waffen.“ Die Frau klang kühl und
sarkastisch. Sie stand offensichtlich höher in der Rangfolge, und Falkenhorsts
Benehmen lud regelrecht dazu ein, auf ihm herumzuhacken. Dschinn hatte dieses
Verhaltensmuster schon bei anderen Menschen studiert. Hinter der eisigen,
verachtungsvollen Maske, die der Schamane für seine Umgebung bereithielt, kam
ein Untertanengeist zum Vorschein, der nach oben buckelte und nach unten trat. Dschinn
bleckte abfällig die Zähne.
Sie hatte sich kopfüber an der
Decke festgesaugt, direkt über den beiden Eremiten. Dort konnte sie ungestört
zuhören, ohne dass die Menschen etwas ahnten. Und dann kam ihr ein noch
besserer Gedanke. Bestimmt würde es der Kapitänin helfen, wenn sie die Verschwörer
identifizieren konnte. Dazu musste Randori nur wissen, wie die beiden aussahen.
– Nichts leichter als das.
Dschinn stieß einen Saugrüssel
herab, der dem einer Mücke ähnelte. Allerdings war er sehr viel länger und
beweglicher. Sie zielte auf die Kopfhaut, stach blitzschnell hinein und zapfte jeweils
einige Tropfen Blut ab. Die Frau hätte man vorher unter eine Dusche schubsen
sollen, stellte sie fest. Durch die verfilzte Haarmähne war kaum hindurch zu kommen.
Doch am Ende besaß Dschinn genug DNA, um die Körperhüllen der beiden überstreifen
und sie der Kapitänin vorführen zu können.
Die Eremiten flüsterten ungestört
weiter. Sie hatten den Einstich nicht einmal bemerkt. Falkenhorst zischelte mit
seiner scharfen Stimme: „Aber was ist, wenn sie rausbekommt –“
Die Frau schnitt ihm das Wort ab.
„Randori hat keine Beweise. Sie kann keinen Druck auf unseren Kontaktmann
ausüben, ohne politische Konsequenzen fürchten zu müssen. Also wird sie gar
nichts herausfinden.“
„Aber was ist, wenn - - was ist,
wenn - - “
Dschinn hörte nicht länger auf die
penetrante Stimme. Etwas anderes nahm plötzlich ihre volle Aufmerksamkeit
gefangen. Während sie den Streit verfolgte, hatte sie beiläufig im Strom einen
Stadtplan aufgeschlagen. Sie wollte den Weg des Eremiten für Randori aufzeichnen.
Mit dem inneren Auge war sie den Straßenzügen gefolgt, die nach
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