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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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der sich wie in Schmerzen wand und verformte. Fleisch
krümmte sich um Schalenkrusten, Fellhaare wucherten über freigelegte zuckende
Organe.
    Dschinn kämpfte mit wachsender
Erschöpfung um die Kontrolle. Sie fühlte die Lebenskraft aus sich herausfließen
wie Blut aus einer tödlichen Wunde, während sie das nächste Knochenskelett
erschuf, das nächste Tracheensystem durch ihren Körper zog. Sie konnte nicht
damit aufhören. Es war unmöglich, ihre menschliche Gestalt um sich zu sammeln
und den Raum zu verlassen. Die Gier war zu stark. Dschinn war gefangen in einer
tödlichen biologischen Falle.
    Während ihr Bewusstsein im Chaos
fremder Emotionen und Triebe unterging, fand sie das letzte Mal die Kraft, ein
menschliches Gehirn zu bilden und einen Hilfeschrei durch den Strom zu
schicken. Er war an Randoris Mailbox adressiert, und Dschinn konnte nur hoffen,
dass die Kapitänin bald ihre Post las.
     

 
    Serail lag umgeben von warmer roter
Dunkelheit in einer Opiumhöhle der KamaSutra und versuchte die vergangenen Tage
zu vergessen. Nur durch einen Schleier aus Alkohol und Mohnstaub fühlte er, wie
sich geschmeidige Körper an ihm rieben und geübte Finger seine Hinterbacken
massierten. Die Luft war heiß und stickig, durchtränkt von dem süßen Geruch
hunderter Räucherstäbchen. Jemand küsste ihn raffiniert und leidenschaftlich,
und Serail besaß genug Erfahrung, um trotz seines Zustandes mit einem
exotischen Zungenspiel zu antworten. Er stellte sich vor, dass Caravan über ihm
lag, konnte blaue Augen liebevoll auf sich herabstrahlen sehen. Serail lächelte
glücklich und vergrub sein Gesicht in Caravans Schulter. Er erinnerte sich,
dass es ihr vierter Hochzeitstag war, oder nicht? Er konnte es genau vor sich
sehen. Sein Getrauter hatte sich eine rote Geschenkschleife um den aufrechten
Schwanz gebunden und fragte: „Vielleicht möchtest du mich auspacken?“ Sein
Lächeln war wie Zucker auf Sahnecremetorte ... Dann platzte die Haut von
Caravans Gesicht, und der Mund klaffte zu einem lautlosen Schrei auseinander.
Aus dem weit offenen Schlund schoss ein feuchter Schlangenkopf hervor, um sich
in lebendes Fleisch zu verbeißen. Serail brüllte in Panik, fuhr aus den Laken
hoch und stieß den KamaSutra brutal von sich herunter.
    „Hey, was ist denn los?“,
beschwerte sich sein Bettgenosse. Serail antwortete nicht, sondern taumelte auf
die Tür zu. Um ihn herum drehte sich alles, und die Wände schienen auf ihn zuzufallen.
Das süße Parfüm der Räucherstäbchen erstickte ihn fast, er hustete und würgte,
bis er endlich auf der Straße stand. Das künstliche Licht, das schmerzhaft hell
den Gang erleuchtete, brachte ihn halbwegs zur Besinnung. Erschöpft lehnte sich
Serail an die Wand. Er lachte bitter, und ein paar Passanten drehten sich um
und starrten ihn an. Serail verzog den Mund. Er musste alarmierend wirken,
nackt und mit irrem Blick. Wahrscheinlich hielten sie ihn für einen Amok-Kandidaten.
Vielleicht hatten sie damit sogar Recht ... Serail stellte sich der Probe
halber vor, wie er zum Recycler ging und sich eine handliche Motorsäge herausholte.
Der Gedanke wirkte eher lächerlich. Er kicherte und sagte laut: „Na, dann eben
nicht.“
    Seine Beine gaben nach, er
rutschte an der Wand herunter. Noch vor einem Monat hätte ihn ein bisschen
Mohnstaub nicht so erledigt. Aber seit damals hatte er sich schließlich in
Enthaltsamkeit geübt. Für seinen wie durch ein Wunder geretteten Getrauten. Was
für ein Witz.
    Früher hatte er Serail
vernachlässigt, ihn verletzt, ihn betrogen. Aber als sein Geliebter scheinbar
von den Toten auferstanden war, hatte er versucht, es wieder gut zu machen. Er
war sooo erwachsen und verantwortungsbewusst gewesen, kein einziger
Depressionsanfall, kein Stromrausch, keine klitzekleine Orgie … seit Wochen gab
es nur noch Caravan mit seinem leergefegten Gehirn und diesem kindlichen,
vertrauensvollen Blick. Serail hatte ein Gewissen, oh ja. Hätte er seinen Getrauten
nach dem Unfall hängen lassen, dann hätte er sich nie wieder vor einen Spiegel
getraut. Und das wäre bei den vielen blanken Metallwänden der Arche ein echtes
Problem geworden ... Serail wiegte sich im Sitzen vor und zurück. In
Wirklichkeit hatte er nicht Caravan geholfen, sondern ausgerechnet seinem
Mörder. Was für eine beschissene Ironie.
    Wenigstens hatte er eines
herausgefunden: Er war nicht dafür geschaffen, ein anständiger Mensch zu sein.
Höchste Zeit, sich wieder ins Vergnügen zu stürzen. Serail

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