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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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ihrem
jeweiligen Stromdesign benannt waren: Mittelaltermarkt, Singende Tulpenwiese,
Polarlicht. Und dann stolperte sie über einen Saal mit einer ganz anderen Aufschrift.
Dort stand klar und deutlich ‘ Zentrale Genbank Afrika + Asien. Zutritt
nur für befugte Crew. Sicherheitsstufe 3’.
    Dschinn konnte es kaum glauben.
Das Erbgut zweier ganzer Kontinente lag gleich hinter einer benachbarten Tür.
    Sie vergaß vollständig, warum sie
hier war, warum sie über zwei Schamanen an der Decke klebte und warum es so wichtig
war, dass die Kapitänin von den Beweisen gegen die Eremitengilde erfuhr ... Ihr
Tiefenselbst hatte nur noch einen einzigen Gedanken. Es wollte in diesen Raum!
    Die Gier schaltete ihren Verstand
völlig aus, uralte Instinkte übernahmen die Kontrolle. Das Gefühl glich einer
Sucht, einem evolutionär verankerten Zwang. Die Gene ihres eigenen Planeten
hatte sie fast bis zur Neige ausgekostet. Ihr Tiefenselbst hungerte nach neuen
Verwandlungen … und nun stand ihr plötzlich die biologische Vielfalt einer
zweiten Welt zur Verfügung.
    Dschinn verlor bei diesem Gedanken
jede Selbstbeherrschung. Sie schnellte durch den Gang und warf sich mit hartem
Aufprall auf die Zugangstür der Genbank. Kiemes dumpfes Bewusstsein übernahm
die Kontrolle, fuhr Saugnäpfe aus und klammerte sich fest. In gedankenloser
Hast suchte es einen Weg hinein. Seine Bauchseite rieb über den Spalt, wo die
Tür in den Scharnieren hing. Mit geleeartigem Körper quetschte es sich hindurch
und ließ sich in den Raum fallen. Sofort riss es Luftmoleküle und eine dicke
Schicht Fußbodenmaterie an sich, um daraus schnellstmöglich eine verwendbare
menschliche Hülle zu bauen.
    Dschinn schlug blaue Augen auf und
schaute sich um.
    Die Wände des gesamten Saales
bestanden aus Schubladen mit lateinischen Namensreihen. Hier mussten Millionen
von Spezies gelagert sein. Mit fiebrigen Händen zog Dschinn eine der Schubladen
auf und starrte die kleinen Stasisbehälter an, in denen Eizellen,
Pflanzensporen, Insektenkörper lagen. Sie nahm eines der durchsichtigen
Kästchen heraus, das den Zapfen einer japanischen Kiefer enthielt. Ehrfürchtig
öffnete sie den Deckel und berührte einen der Samen mit ihrem nadelspitzten
Fingernagel. Auf Archensee gab es keine Pflanzen, nur Halbwesen wie die
Korallen und die Fallschirme. Sie konnte sich nicht im geringsten vorstellen,
wie es sich anfühlen würde, eine Kiefer zu sein. Dschinn atmete schnell. Die
Erfahrung würde fremdartiger werden als alles andere in ihrem tausendjährigen
Leben. Vor Aufregung und Glück liefen Tränen über ihr menschliches Gesicht.
    Sie setzte das Kästchen vorsichtig
an seinen Platz zurück, stellte sich zwischen die Tische und Stühle des Archivraums
und aktivierte die neue DNA. Sofort fühlte sie, wie ihr Körper sich verformte.
Fleisch streckte sich und wurde zu Holzfasern, Wurzeln wuchsen aus ihr heraus
und klammerten sich am Mobiliar fest, um dem emporschießenden Stamm Halt zu
geben. Grüne Kiefernnadeln schoben sich hervor, Flüssigkeiten begannen in ihrem
Körper zu kreisen, und ihr emotionsloses Pflanzenbewusstsein wartete auf
chemische Reize. Bäume besaßen ihre eigene Sprache, erfuhr Dschinns
Tiefenselbst, denn der irdische Wind war von Botschaften erfüllt gewesen. Wenn
Insekten den Wald befielen, lief ein Hauch von chemischem Schmerz durch die
Wipfel, und sie fühlte, wie sich ihr Körper mit Harz und Bitterstoffen gegen
die Fressfeinde wappnete. Im Frühling lagen Bestäubungswolken in der Luft und
ließen die pflanzliche Fruchtbarkeit aufbrechen. Der Wald war wie ein riesiger
Gesamtorganismus, der gemeinsam empfand und gemeinsam reagierte. Es war eine
völlig andere Art von Bewusstsein als bei Tieren, eher eine neblig dämmrige
Wahrnehmung, die mit ihren Reiz-Reaktionsketten fast maschinenhaft wirkte.
    Dschinn hätte diese Erfahrung noch
länger ausgekostet, aber der Gedanke an die Millionen Genmuster in den
Schubladen erfüllte sie mit brennender Ungeduld. So schüttelte sie ihre
Pflanzenhülle ab und begann, nacheinander die nächsten Spezies auszuprobieren,
die Zibetkatze, die Termite, den Bambus, die Oryxantilope. Sie nahm sich nur
gerade so viel Zeit, um die Hüllen vollständig auszuformen, ein paar Schritte
zu gehen, ihre Blätter nach dem Licht zu richten, ehe sie die nächste
Lebensform in sich aufnahm. Dann wurde ihre Gier auch dafür zu groß, und sie
sog ganze Schubladen auf einmal in ihren Genspeicher. Chaotische Befehle liefen
durch ihren Körper,

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