Die fünfhundert Millionen der Begum
fünfmonatlichem Verweilen im Stierthurme kannte Marcel von den Geheimnissen der letzten innersten Anlagen auch noch nichts Besonderes. Nur sein längst gehegter Verdacht war zur halben Gewißheit geworden. In ihm wurzelte jetzt die feste Ueberzeugung, daß Stahlstadt noch ein Geheimniß berge und Herr Schultze noch zu einem anderen Zwecke, als den des bloßen Nutzens arbeitete. Alles, was man ringsum sah und hörte, unterstützte die Annahme, daß der Professor irgend eine neue Kriegsmaschine erfunden habe.
Die Lösung dieses Räthsels ließ aber noch immer auf sich warten.
Marcel sah wohl ein, daß auch er es nicht ohne eine Krisis erfahren würde. Da eine solche nicht von selbst eintrat, beschloß er, dieselbe absichtlich herbeizuführen.
Es war am Abend des fünften September nach dem Essen. Ein Jahr vorher, genau auf den Tag, hatte er im Albrechts-Schachte die Leiche seines kleinen Freundes Karl aufgefunden. Draußen spürte man schon die Vorboten des langen, rauhen Winters dieser amerikanischen Schweiz, der bald Alles in seinen weißen Mantel hüllen sollte. Im Parke von Stahlstadt freilich war die Temperatur noch ebenso mild wie im Juni, und der Schnee, der hier schon zum Schmelzen kam, bevor er den Erdboden erreichte, fiel nur als Thau an Stelle der Flocken nieder.
»Diese Würstchen mit Sauerkraut waren doch vortrefflich, nicht wahr? begann Herr Schultze, den auch die Millionen der Begum seinem Lieblingsgerichte nicht abwendig gemacht hatten.
– Ganz ausgezeichnet!« bestätigte Marcel, der diese Speise, welche er allgemach geradezu verwünschte, mit wahrem Heldenmuth niederwürgte.
Seine Magenbeschwerden veranlaßten ihn jetzt aber den letzten Anlauf zu versuchen, den er schon längst im Schilde führte.
»Ich lege mir immer die Frage vor, fuhr Herr Schultze mit einem Seufzer fort, wie die Völker, welche weder Würstchen noch Sauerkraut und Bier kennen, überhaupt ihr Leben fristen können?
– Ja, es muß für sie eine Strafe ohne Ende sein, meinte Marcel…. wahrlich, es wäre nur ein Act der Menschlichkeit, sie wieder mit dem », Vaterlande« zu vereinigen.
– O…. o…. Das kommt noch…. Das kommt noch! rief der König von Stahlstadt. Jetzt haben wir uns schon im Herzen Amerikas festgesetzt; nun lassen Sie uns nur erst eine oder zwei Inseln in der Nähe von Japan in Besitz nehmen, dann werden Sie staunen, welche Riesenschritte wir rings um den Erdkreis machen werden!«
Der Kammerdiener hatte die Pfeifen hereingebracht. Herr Schultze stopfte die seinige und setzte sie in Brand. Marcel hatte mit Absicht diesen Augenblick der vollkommensten Glückseligkeit seines Herrn abgewartet.
»Ich muß gestehen, begann er dann nach kurzem Schweigen, daß ich an diese Eroberung nicht recht glauben kann!
– Welche Eroberung? fragte Herr Schultze, der schon nicht mehr bei dem Gegenstande der Unterhaltung war.
– Die Eroberung der ganzen Erde durch die Deutschen!«
Der Ex-Professor glaubte falsch verstanden zu haben.
»Sie glauben nicht an die Unterwerfung der Welt durch die Deutschen?
– Nein.
– Ei, sehen Sie, das ist sonderbar!…. Ich wäre begierig, die Gründe dieses Zweifels zu hören.
– Sehr einfach, die französischen Artilleristen werden auch Fortschritte machen und sie vielleicht überflügeln. Die Schweizer z. B., meine Landsleute, welche jene sehr gut kennen, haben das Vorurtheil, daß ein Franzose so viel ausrichte wie zwei Deutsche. 1870 ist für jene eine Lection gewesen, welche sich gegen Diejenigen kehren wird, die sie ertheilt haben. Davon ist in meinem Vaterlande Jedermann überzeugt, und, ich mag das nicht verhehlen, damit stimmen auch die besten Köpfe Englands überein.«
Marcel hatte diese Worte in einem so kalten trockenen und schneidenden Tone hervorgestoßen, daß er die Wirkung einer solchen schnurgeraden Blasphemie bei dem König von Stahlstadt womöglich verdoppeln mußte.
Herr Schultze war sprachlos und außer Athem. Das Blut stieg ihm so heftig in’s Gesicht, daß der junge Mann fürchtete, zu weit gegangen zu sein. Da er aber wahrnahm, daß sein Opfer, nachdem dessen Wuth einigermaßen verschnauft war, nicht von einem solchen Schlage sterben würde, fuhr er in seiner Rede fort:
»Ja, es ist unangenehm, sich das sagen zu müssen, aber es bleibt doch wahr. Wenn unsere Rivalen weniger geräuschvoll auftreten, so sind sie dafür desto fleißiger. Glauben Sie denn, daß diese seit dem Kriege gar nichts gelernt haben? Während wir, soweit ich das weiß, nur
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