Die fünfte Kirche
holen uns die Ereignisse ein. Nick Ellis ist da drüben in der Dorfhalle und trifft sich mit ein paar Leuten. Wir erwarten, dass er beim Herauskommen einen Marsch nach St. Michael ankündigt, wahrscheinlich noch heute Abend.»
«Das ist es, was er da drin macht?» Für ein Strategietreffen sollte er das Kreuz angeschaltet haben?
Das glaube ich nicht.
«Ist das nicht zu spät für Ihre Sendung?»
«Ja, klar, viel zu spät. Wir können um halb neun vierzig Sekunden unterbringen. Aber die Aktion wird wahrscheinlich sowieso ’n Rohrkrepierer, weil überhaupt niemand da ist, gegen den sie protestieren könnten. Die Thorogoods waren so schlau abzuhauen.»
«Dann hatten Sie gar keine Möglichkeit, mit ihnen zu sprechen?»
Kinsey schüttelte den Kopf. «Deshalb müssen wir jetzt ohne sie klarkommen und es – wenn ich das so sagen darf – mit Leuten wie Ihnen machen. Sagen Sie uns einfach, wie die Kirche dazu steht. Eine ganz klare Ansage, einfach geradeheraus. Dauert nur ein paar Minuten.»
Natürlich dauerte es dann doch zwanzig Minuten. Kinsey fragte sie, ob die Diözese voll und ganz hinter Ellis stünde, Merrily sagte, die Diözese sei
besorgt
. Sie hätte also vor, heute Abend bei dem Protestzug mitzumachen? Nein, nicht unbedingt, aber sie würde sicher als Beobachterin mitgehen.
«Dann will sich die Diözese also nicht festlegen?»
Merrily sagte: «Ich persönlich halte nicht viel von Hexenjagd.»
«So würden Sie es also nennen?»
«Ich möchte nur nicht, dass es dazu wird. Hochwürden Ellis hat jedes Recht, sich dem entgegenzustellen, was er für böse hält – tatsächlich ist das sogar sein Auftrag, aber –»
«Halten
Sie
es für böse?»
«Ich kenne die Thorogoods nicht. Ich würde das Heidentum zunächst einmal genauso wenig verdammen wie den Buddhismus oder den Islam, aber ich
würde
, wie alle anderen auch, wissen wollen, was sie mit der Kirche von Old Hindwell vorhaben.»
«Glauben Sie, es könnte sich da um ein Sakrileg handeln?»
«Der entscheidende Punkt ist, dass die Kirche von Old Hindwell keine funktionsfähige Kirche mehr ist, sie ist stillgelegt worden.»
«Aber was ist mit dem Friedhof? Werden Verwandte von Menschen, die dort begraben sind, nicht –»
«Dort gab es nie viele Gräber, weil der Fluss in der Nähe manchmal über die Ufer tritt. Die Gräber, die einmal dort waren, sind ziemlich alt, und inzwischen sind ohnehin nur noch die Grabsteine da. Wir wollen natürlich nicht, dass sich jemand an den Steinen zu schaffen macht.»
«Was ist denn mit der Reaktion der Dorfbewohner? All die Kerzen in den Fenstern … Was halten Sie davon?»
Merrily lächelte. «Ich finde, das sieht sehr schön aus.»
«Was soll es denn Ihrer Meinung nach aussagen?»
«Na ja … verschiedene Dinge wahrscheinlich. Warum klopfen Sie nicht an ein paar Türen und fragen selbst nach?»
Kinsey ließ sein Mikro sinken und nickte dem Kameramann zu. Das war die Aufforderung einzupacken. «Nur aus Interesse, Martyn», sagte Merrily, «was haben die Leute denn gesagt, als Sie bei ihnen angeklopft haben?»
«Rein gar nichts», sagte Kinsey. «Entweder haben sie gar nicht erst aufgemacht, oder sie haben uns höflich erklärt, dass Mr. Ellis zuständig ist. In dem ein oder andern Fall auch nicht so höflich. Aber, jetzt, wo die Kamera aus ist – warum
macht
Ellis das? Warum geht er auf diese Leute los, diese sogenannten Heiden?»
«Sagen Sie’s mir.»
«Kann ich nicht. Er ist ja kein typischer Missionar, der herumzieht, den Herrn preist und Barmherzigkeit predigt. Er ist eher ein ruhiger Typ, er setzt seine Worte wohlüberlegt. Er versteht sich mit den Einheimischen … das ist ungewöhnlich. Die sind ja gewieft hier und nicht gerade leicht zu beeindrucken. Aber wie auch immer, ist ja nicht mein Problem. Sind Sie in der Nähe, wenn wir noch was brauchen?»
«Erst mal ja», sagte Merrily.
«Na dann, alles Gute.»
«Danke.»
Sie rannte den ganzen Weg zur Dorfhalle, ohne jemanden zu treffen, sprang die Stufen hinauf und betete, dass sie nicht zu spät kam, denn wenn alles schon vorbei war … es war einfach nicht dasselbe, es nur erzählt zu bekommen.
Oben angekommen, blieb sie kurz stehen, um zu Atem zu kommen – und um den Mann einzuschätzen, der offenbar die Eingangstür der Dorfhalle bewachte. Er hing auf einem Klappstuhl wie ein Sack Zement, ein Typ mit einem flachen Käppi, ungefähr fünfzig, der nicht lächelte. Sie erkannte ihn nicht.
Er sah sie nicht an.
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