Die fünfte Kirche
wenigstens anzurufen. Robin stellte sich vor, wie Polizisten an seine Tür kämen, ernst und voller Mitgefühl, mit schrecklichen Nachrichten über einen tödlichen Autounfall im sintflutartigen Regen.
Noch nie hatte eine Altarweihe Robin weniger bedeutet. Noch nie war ein Tempel so bar jeder Heiligkeit gewesen.
«Sie kommt bestimmt bald, Robin», sagte eine füllige Frau mittleren Alters namens Alexandra. Sie war am College Bettys Tutorin und auch bei ihrer Hochzeit dabei gewesen. Ihr großflächiges Gesicht wirkte im Kerzenlicht weich und freundlich. «Wenn ihr was passiert wäre, würde es bestimmt einer von uns wissen.»
«Sicher», sagte Robin.
«Ich hoffe nur, sie freut sich, dass wir gekommen sind.»
«Ja», sagte Robin heiser. Wenn sie doch anrufen würde, dann könnte er sie wenigstens auf das hier vorbereiten. Er wusste, dass er die anderen hätte zurückhalten sollen, bis er die Sache mit Betty besprochen hatte. Aber als George ihn auf dem Handy erreicht hatte, war er schon völlig gestresst gewesen, und ihm war auch nicht gleich aufgegangen, dass sie einige von den Leuten im Haus würden aufnehmen müssen, dass sie ihre Schlafsäcke in der Küche und auch im ersten Stock ausrollen würden. Und noch dazu die Kinder: Max und Bella hatten zwei Töchter und einen neunjährigen Sohn dabei, der Hermes hieß – Robin hatte die kleine Kröte schon im Atelier mit seinen Farbpistolen erwischt. Wenigstens würde diese Familie nicht im Haus schlafen, sondern draußen in ihrem großen Wohnmobil. An seinem Heckfenster klebte ein Pentagramm, an der gleichen Stelle, an der Christen heutzutage gerne ein Fischsymbol hatten.
Robin ging erneut zum Fenster, um nach nahenden Scheinwerfern Ausschau zu halten.
Manchmal wurde seine Angst von Misstrauen durchbohrt. Er fragte sich, ob all das irgendwie geplant worden war. George beschäftigte sich mit den praktischen Dingen – mit Rutegehen und Wahrsagen –, aber Vivvie sah das Ganze sehr politisch. Für sie hätte es genauso gut um Marxismus gehen können, das war ihr im Fernsehen im Eifer des Gefechts ja auch herausgerutscht. Robin hatte Vivvie noch nie so richtig über den Weg getraut.
Und jetzt hatten sie eine Kraftprobe mit fanatischen fundamentalistischen Christen vor sich. Zwei der Wicca-Anhänger, Jonathan und Rosa, waren im Dorf gewesen, um sich einen Eindruck zu verschaffen, und hatten eine Menschenansammlung gesehen, in deren Mitte ein Mann in Weiß stand. Ellis? Max sagte, die Konfrontation dürfe dem großen Feuerfest auf keinen Fall in die Quere kommen. Aber George hatte gegrinst, denn George liebte es, wenn es Ärger gab.
«Was echt wunderbar ist an der Sache», flötete Max, «ist, dass die Christen nur zwei Gottheiten direkt von der Alten Religion geklaut haben. Einer ist Michael, die andere ist die dreigestaltige Göttin Brigid, die mit St. Brigid in Verbindung gebracht wird, der Äbtissin von Kildare – die aller Wahrscheinlichkeit nach selbst eine Heidin war und ihren Göttern in einem Eichenwald huldigte. Nach allem, was wir wissen, ist Imbolg also das Fest von Brigid, aus dem die Christen Mariä Lichtmess gemacht haben – das Fest von
Sankt
Brigid …»
Max strich sich über den Bart. Es war nicht nötig, dass er das alles erzählte, jeder von ihnen wusste darüber Bescheid, aber Max war eben Max, außerdem war er schon ein bisschen betrunken.
«Es passt also ganz wunderbar, dass diese Kirche an diesem heiligen Abend neu geweiht wird, im Namen von Mannon und Brigid, mit einem Feuerfest, das alles verbrennen wird, was …»
Meine Güte.
Robin starrte aus dem Fenster in die tiefdunkle Nacht. Er fragte sich, ob Betty beschlossen hatte, niemals wiederzukommen.
Vor Lizzie Wilshires Haus parkte ein grüner Range Rover, sodass Betty ihr Auto unten am Weg stehenlassen und durch den Regen laufen musste. Aber das machte nichts; es war derselbe Regen, der immer noch auf die Vier Steine fiel.
Als sie den Range Rover erreichte, sah sie hinter der Windschutzscheibeein Schild. Sie blieb stehen, drehte sich um und ging schnell wieder zu ihrem Auto zurück.
Auf dem Schild stand NOTARZT.
Sie dachte nach. War das ein Zeichen? Sollte sie reingehen und Dr. Coll direkt zur Rede stellen?
Betty saß auf dem Fahrersitz, dankbar für den Regen, der über die Scheiben lief und ihr Gesicht für jeden, der vorbeikommen würde, unkenntlich machte.
In Gedanken ging sie noch einmal alles durch. Dr. Coll, der hier war. Mr. Weal, der Anwalt,
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