Die fünfte Kirche
Krone trägst.»
Die Krone würde atemberaubend aussehen, draußen, an einem ruhigen Abend, mit all den Kerzen auf dem Kopf einer schönen Frau.
«Aber es ist die Mutter, die die Lichterkrone trägt», sagte Betty.
«Das heute ist eine Ausnahme.»
«Aber was würde Ned dazu sagen?»
«Für den wär das bestimmt in Ordnung.»
Alles war in Ordnung, alles fügte sich, genau, wie Robin es sich vorgestellt hatte. Er hatte sie nicht gefragt, wo sie die letzte Nacht verbracht hatte. Es war auch nicht wichtig. Manchmal brauchte sie eben Zeit zum Nachdenken. Er erinnerte sich daran, wie sie einmal in einer mondhellen Nacht von Shrewsbury aus spazieren gegangen war, bis raus aufs Land, erst zur Morgendämmerung war sie zurückgekommen, war an die fünfundzwanzig Kilometer gelaufen und hatte überhaupt nicht mitbekommen, wie die Zeit vergangen war. Er war außer sich gewesen, aber sie war ihr eigener Herr. Sie war seine Priesterin. Er würde ihr immer vertrauen, Leben für Leben für Leben.
«Ned will sogar die Sache mit Blackmore regeln, hab ich dir das schon erzählt?»
«Ja», sagte Betty, «das macht er bestimmt.»
«Bets, jetzt wendet sich alles zum Guten. Es ist Imbolg. Ich fühle das Licht durchkommen.»
«Ja», sagte Betty.
Merrily fuhr den Hügel hinunter, bis sie an die Stelle kam, an der sich zwei Landwirtschaftsgebäude gegenüberlagen und der Landrover mit dem «Jesus ist das Licht»-Aufkleber stand. Jesus war wirklich gut zu gebrauchen: Allein der Name diente manchen Leuten schon als Desinfektionsmittel.
Merrily bog in einen furchigen Weg zwischen zwei Scheunen ein und sah das Bauernhaus vor sich. Es war graubraun mit schwarzen Fenstern. Einen Garten gab es nicht, nur einen sandigen, mit Kies ausgestreuten Hof, auf dem sie den Volvo parkte. Die Haustür ging auf, noch bevor sie die Veranda betreten hatte. Hochgewachsenund lässig stand Judith Prosser in ihrem orangefarbenen Rugby- T-Shirt da.
«Sie sind spät dran, Mrs. Watkins. Ich hatte Sie für eine Frühaufsteherin gehalten.»
Offenbar musste sie ihr demonstrieren, dass ihr Besuch sie nicht überraschte.
«Gestern ist es spät geworden, Mrs. Prosser.»
«Ich hab gerade Kaffee gekocht.»
«Das ist eine gute Idee. Ich … hm … hatte das Gefühl, dass gestern noch was in der Luft hing.»
«Das ist manchmal gar nicht so schlecht», sagte Judith leichthin. «Wenn etwas in der Luft hängt, wird es vielleicht weggeblasen.»
«Aber manchmal bleibt es auch da und verpestet die Luft, meiner Erfahrung nach ist das nicht gut.»
«Oh,
Ihrer
Erfahrung nach.» Sie hielt Merrily die Tür auf. «Heute sind Sie aber tiefschürfend.»
«Haben Sie damit ein Problem?» Merrily blinzelte. Im Haus war es düster.
«Das Leben ist zu kurz für Probleme.»
«Das Leben ist zu kurz, um Probleme zu verschleiern, Mrs. Prosser», sagte Merrily.
Judith sah sie an. Sie standen in einer quadratischen Halle, die von einem riesigen, übermäßig verschnörkelten Stuhl mit einem Messingschild beherrscht wurde. Er sah aus wie der Stuhl eines Vorsitzenden oder eines Richters. Judith lehnte sich mit einem Ellbogen auf die Rückenlehne des Stuhls.
«Wie ich gestern bereits sagte, es wäre dumm von Ihnen, etwas auf Gerüchte zu geben.»
«Es ist folgendermaßen», sagte Merrily. «Ich war dort, ich habe alles gesehen: das Kreuz, die Vaseline. Und Dr. Coll, der in der Tür stand – das soll wohl erklären, warum lauter ehrbare Dorfmatronen in der Lage waren, einfach dazusitzen und dabei zuzusehen,wie Ellis eine Frau mit einem metallenen Kreuz vergewaltigt. Es war ja ein
Arzt
dabei. Dann ist natürlich alles in Ordnung, vollkommen akzeptabel, klinisch geprüft.»
Judith Prosser schnipste etwas Staub oder Asche von der Lehne.
«Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht etwas für die Polizei ist», fuhr Merrily fort. «Aber wir sind dabei, das herauszufinden.»
45
Die richtigen Fragen
Jane tippte das Wort «charismatisch» ein. Die übliche, überwiegend irrelevante Liste erschien. Sie griff nach der Maus und ließ den Pfeil unschlüssig über «Charismatische Fragen und Antworten» schweben.
«Versuch es einfach», schlug Eirion vor. «Vielleicht führt uns das ja irgendwohin.»
Auf dem Bildschirm stand: «Die Charismatische Bewegung: Worum geht es eigentlich?»
«Klick», sagte Eirion.
Die Charismatische Bewegung (aus dem Griechischen
charismata
, was «geistige Gaben» bedeutet) entwickelte sich in den fünfziger und sechziger Jahren des
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