Die fünfte Kirche
wir es vielleicht mit einem gequälten und ruhelosen … Wesen zu tun haben, das seinen Frieden nicht finden kann. Wie eine Motte im Glas, abgesehen davon –»
«Dass eine Motte im Glas nicht lange lebt.»
«Genau. Das ist der Unterschied.»
«Und was wollen Sie da machen, Mrs. Watkins?» Judith legte ihre Hände auf ihre schmalen Hüften. «Was wollen Sie da jetzt noch machen?»
«Na ja, es kann nicht um einen Exorzismus gehen, schließlich haben wir es nicht mit einem bösen Geist zu tun. Wir müssen sie eher als Opfer betrachten, das immer noch der Rettung bedarf. Normalerweise wird in so einem Fall eine Seelenmesse abgehalten. An einem angemessenen Ort, mit Menschen, die der Toten nahestanden. Das könnten in diesem Fall Sie sein. Und Mr. Weal natürlich.»
«Dann wird diese Messe nie stattfinden.»
Merrily dachte an Eileen Cullen.
Er wusste, dass es da war. Ich
schwöre bei Gott, dass er es wusste. Er hat zwei Mal über seine Schulter gesehen.
«Er will sie nicht gehen lassen.» Merrily ließ sich zurücksinken und drückte den Mantel an ihre Brust. «Genau darum geht es: sie im Tod so vollkommen zu besitzen, wie er sie im Leben nie besessen hat. Und nachdem ich das weiß … wie kann ich es da zulassen, dass es so weitergeht?»
«Angenommen …» Judiths Stimme war jetzt eine Tonlage höher. «Angenommen, ich könnte dafür sorgen, dass Sie in das Haus kommen, in das Zimmer – oder in das Mausoleum –, um Ihre Zeremonie durchzuführen. Sie würden es nicht mit seiner Zustimmung tun, aber auch nicht gegen seinen Willen, weil er nichts davon wüsste. Wäre das aus Ihrer Sicht nicht besser als gar nichts, Mrs. Watkins?»
«Wie wollen Sie das denn machen?»
«Ich habe die Schlüssel – zum Haus und zum Mausoleum. Menna ging es manchmal nicht so gut, deshalb hat Jeffery mir die Schlüssel gegeben, damit ich nach ihr sehen kann. Und als sie gestorben war, brauchte er jemanden, der die Maurer reinlässt, die am Mausoleum gearbeitet haben.»
«Warum wollen Sie das Risiko auf sich nehmen,
mich
dort hineinzulassen?»
«Vielleicht», sagte Judith, «geht es um die Frage, was richtig ist. Ich mochte Menna. Vielleicht ist es das Letzte, was ich für sie tun kann.»
«Aber es ist nicht richtig, dass
ich
ohne Erlaubnis in ein fremdes Haus gehe.»
«Tja …» Judith zuckte mit den Schultern. «Das ist Ihre Entscheidung.» Sie beugte sich vor und öffnete die Klappe des Ofens; es gab einen Luftzug, und das Feuer erhob sich langsam zu einem Brausen. «Ich wollte gerade sagen, dass Jeffery heute Abend nicht da ist. Er ist bei den Freimaurern. Er lässt kein Treffen aus, imGegensatz zu Landrat Prosser. Jetzt sind diese Abende vermutlich noch wichtiger für ihn.»
Merrily sagte: «Vielleicht sollte das eher Vater Ellis machen.»
Judith sah Merrily ernst an. «Soll das heißen, Sie haben Angst, Mrs. Watkins?»
Teil fünf
Ich wartete auf das Gute, und es kam das Böse; ich hoffte auf Licht, und es kam Finsternis … Ich stehe auf in der Gemeinde und schreie. Ich bin ein Bruder der Drachen geworden und ein Geselle der Eulen.
Das Buch Hiob, Kapitel 30, Vers 26 – 29
47
Der Atem des Drachen
Merrily war gegen halb drei mit Gomer im
Black Lion
verabredet, um ein Sandwich zu essen. Sie war früh dran, aber der Pub war schon gut gefüllt mit diesen kultivierten Wandervereinstypen, die den Kern von Vater Ellis’ Gemeinde zu bilden schienen. Heute waren noch viel mehr da als am Vortag.
Merrily stand an der Bar neben einem ungefähr Sechzigjährigen mit weißem Bart, einem der wenigen mit einem Glas Bier. Sie fragte ihn, woher er kam.
«Wolverhampton», sagte er, «Pfingstgemeinde. Bist du auch von so weit hergekommen, Schwester?»
«Oh nein, aus Ledwardine, gleich hinter der Grenze. Zu wievielt seid ihr da?»
«So ungefähr … fünfundfünfzig. Wir haben uns einen Reisebus gemietet. Zum Glück gibt’s in unserer Gemeinde ziemlich viele Rentner, aber es haben sich auch einige von den Jungen einen Tag freigenommen.» Er grinste entspannt. «Geht schließlich darum, welche Arbeit wichtiger ist, nicht? Nach dem Essen gehen wir zu diesen Satanisten, wir wollen vor dem Gatter dort Bibellesungen abhalten. Ich habe Vater Ellis zwar noch nie gesehen, aber nach allem, was man hört, ist er ein sehr inspirierender Mann.»
«Das sagt man, ja.»
«Gelobt sei der Herr», sagte der Mann aus Wolverhampton.
Merrily sah Gomer hereinkommen und zeigte auf den Tisch neben der Tür.
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