Die fünfte Kirche
warte auf jemanden. Sie müsste eigentlich schon längst hier sein.»
«Diese Pfarrerin?»
«Sie ist auch Exorzistin.»
«Entschuldige», sagte Robin, «aber hatten wir das nicht schon mal?»
«Es wäre vollkommen falsch gewesen, Ellis das machen zu lassen. Da hattest du recht. Von Anfang an.»
«Versuch erst gar nicht, mich zu überzeugen.»
«O. k.»
Sie blickten auf die Scheune, hinter der die St.-Michael-Kirche den ruhelosen Hindwell-Fluss überragte.
«Du weißt genau, dass ich immer auf deiner Seite bin», sagte Robin. «Egal, was passiert. Tu, was du für richtig hältst.»
Ihm war nach Weinen zumute. Am besten, es gäbe einen Erdrutsch oder ein Erdbeben. Am besten, diese Scheißkirche würde in den Fluss stürzen.
Alexandra erschien am Rand einer großen Pfütze, ihre langen, grauen Haare fielen ihr auf die Schultern. Sie war die Botschafterin, die Unterhändlerin. Diejenige, mit der Betty und Robin am ehesten reden würden.
«Es ist eure Entscheidung», sagte sie.
«Ich weiß aber nicht, was ich sagen soll», meinte Betty.
«Babe», sagte Robin sanft, «es ist spät. Und die Pfarrerin ist nicht da. Wenn sie überhaupt jemals vorhatte zu kommen.»
«Wir wissen nicht, welche Kräfte dort tatsächlich wirken», sagte Betty und sah in Richtung der Kirche in die Dunkelheit. «Wirwissen nicht, welche Rituale sie hatten, welche Art von Magie sie beschwören wollten und zu welchem Zweck. Jahrtausendelang.»
«Bets», sagte Robin gequält, «die alten Mächte, die im Land eingeschlossen sind? Das ist doch Blackmore-Scheiß.»
Sie sah ihn verblüfft an. Wahrscheinlich dachte sie daran, wie Robin und George vor der Kirche gestanden, den Fluss betrachtet und über die Energielinien gesprochen hatten, die sich dort unten am Fluss trafen. Sie verstand nicht, was Robin inzwischen verstanden hatte: Um seine Bilder zu malen, um zu sein, was er war, ein authentischer Künstler, hatte er die Legende
leben
müssen. Das war alles. Tiefer ging das Ganze nicht.
«Darf ich einen Vorschlag machen?», fragte Alexandra zögernd.
«Bitte», sagte Robin.
«Wir vergessen die Sache mit der Weihung. Das ist ja wegen Ned jetzt sowieso verdorben. Ned ist weg, und wir sind alle erleichtert, sogar George, darüber haben wir ja schon gesprochen. Ned ist eben … ein finsterer Charakter.»
«Ned ist ein Arschloch», sagte Robin.
«Also, vergessen wir das. Vergessen wir das Politische.»
«Sogar Vivvie?» Alexandra drehte sich um.
Robin sah, dass hinter ihr im Schatten der ganze Konvent stand.
Vivvie trat vor und blieb neben Alexandra stehen. Sie sah aus wie ein gerettetes Straßenkind. «Mir soll’s recht sein.»
«Ich schlage vor», sagte Alexandra, «dass wir einfach den Imbolg-Ritus vollziehen.»
«Mit wem als Hohepriester?», fragte Robin.
«Das solltest du machen.»
Robin wusste, dass das ein Riesenzugeständnis war, nachdem auch Max und George da waren. Er hatte zwar die zweite Stufe der Initiation erreicht, aber noch nie einen Konvent geleitet.
«Und wenn wir zum Großen Ritus kommen», sagte Alexandra, «gehen wir anderen, sodass du ihn vollenden kannst.»
Für Robin schien sich die kalte Februarnacht zu erhellen.
Alexandra lächelte. «Ihr hattet beide eine schlimme Zeit. Diese Nacht soll euch gehören.»
Robin überlief eine Gänsehaut. Er wagte nicht, Betty anzusehen.
55
Grau, lichtlos
Das war nur ein toter Körper.
Was auch immer noch von ihr geblieben war, hier war es nicht; wahrscheinlich war es an das Zimmer gebunden, in dem sich ein mittelalterlicher Exorzismus ständig neu abspielte, bis ihr Geist gegen das Glas flatterte. Das graue und lichtlose Ding, das J. W. Weal vom Krankenhaus mit nach Hause gebracht hatte.
«Sehen Sie sie an», sagte Merrily, in der sich wieder einmal Schuldgefühle für alles und jedes Unglück auf der Welt regten. «Das haben Sie alle gemeinsam getan. Das haben Sie hinterlassen. Sehen Sie sich ihr Gesicht an.
Machen
Sie schon!»
Aber Judith Prosser sah weiter Merrily an. Und sie hatte keine Schuldgefühle. Die praktisch veranlagte Judith in ihren engen Jeans, die Ärmel ihres Rugby-Shirts bis zum Ellenbogen hochgeschoben, ihr schwarzer Mantel auf dem Boden. Die praktisch veranlagte Judith war zum Handeln bereit, überlegte, was sie als Nächstes machen sollte. Eine kluge Frau, eine harte Frau, eine Überlebende.
Aber Merrily, möglicherweise im Bewusstsein der Schuld, die Judith nie empfinden würde, drängte weiter.
«Vielleicht hat J. W.
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