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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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seinen Blick auf Judith, sein Kiefer bewegte sich, so als würde er versuchen, sich zu erinnern, warum er sie so sehr hasste.
    Merrily sah plötzlich Weal und Barbara in dem alten Pfarrhaus vor sich. Weal sagte mit rotem, schmerzverzerrtem Gesicht:
«Warum quälst du mich, du dummes, lästiges Weib? Warum sprichst du nicht mit dem einen Menschen, der fünfundzwanzig Jahre lang   …?»
    Judith sagte: «Jeffery, du bist müde.»
    «Ja», sagte er, «ich bin dieser Tage ständig müde.»
    «Warum gehst du nicht ins Haus?», sagte Judith freundlich. «Ich regele das hier schon.»
    Er führte unkonzentriert die Hand an die Stirn. «Du machst aber keine Dummheiten, Judith, ja? Wir sind berechtigt, unseren Besitz zu schützen, aber nur   …»
    «Mach dir keine Sorgen. Ich mache keine Dummheiten, ich habe mich nur kurz hinreißen lassen, Jeffery.»
    Er nickte.
    «Hier.» Judith nahm sein Gewehr. «Nimm das mit und schließ es weg. Es wird jetzt niemand mehr versuchen hereinzukommen.»
    Sie hielt das Gewehr aufrecht und gab es ihm. Weal nahm es entgegen.
    «Gut. Danke, Judith.»
    Judiths behandschuhte Hand strich graziös den Gewehrlauf hinunter, bis zum Schaft. Der krachende Schuss klang, als sei das Ende der Welt gekommen. Merrily duckte sich in ihre Ecke, zog sich in sich selbst zurück und sah J.   W.   Weals Kopf in einem aufsteigenden roten Sprühregen bersten wie eine Melone.
    Und fühlte ihn wieder herunterkommen, wie einen warmen Graupelschauer.

56
Wenn ich untergehe
    Judith hielt immer noch das Gewehr in der Hand. Ihre Miene war sorgenvoll.
    «Armer Mann», sagte sie. «Aber er hatte ja nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnte.»
    Weals massiger Körper versperrte die Tür. Sein Blut und Fleisch,seine Knochen und sein Gehirn klebten an den Wänden, aber das meiste hing noch tropfend an der Decke. Merrily schluchzte, sie hörte immer noch das Geräusch, mit dem Weals Kopf die Decke berührt hatte. Sie würde es für immer hören.
    «Ein schrecklicher Unfall», sagte Judith.
    Grabkammer und Schlachthaus.
    Merrily war kalt. Sie hörte hinter und über sich etwas langsam die Wand hinunterglitschen.
    «Ein Unfall, Mrs.   Watkins. Ein
schrecklicher
Unfall.»
    «Ja», krächzte Merrily.
    «Oder meinen Sie, er hat es mit Absicht getan? Sie haben doch gesehen, wie ich ihm das Gewehr gegeben habe. So ein großer Mann, es zeigte direkt auf sein Kinn.» Sie lachte schrill. «So ein großer Mann. Sie haben ihn hier immer
Big
Weal genannt.»
    Merrily fühlte etwas Warmes auf ihrer Stirn und wischte es in einer heftigen Geste mit dem Ärmel weg. Dass sie in der Ecke saß, hatte sie wahrscheinlich davor bewahrt, noch mehr abzubekommen. Sie erinnerte sich, dass Judith schnell zurückgesprungen war, mit dem Gewehr in der Hand. An ihr war nicht ein einziger Blutfleck zu sehen.
    «Alles Ausreden, oder?», sagte Judith.
    «So was kann passieren», hörte Merrily sich selbst sagen. Sie spürte eine Welle der Hysterie auf sich zukommen. Sie stand vorsichtig auf und stützte sich dabei mit beiden Händen am Boden ab, den Hintern an die Wand gedrückt. Jetzt konnte sie J.   W.   Weals riesige Schuhe sehen, die im Licht glänzten, seine Beine   …
    «Oh nein, nein!» Judith schnellte herum, das Gewehr an der Schulter. «Sie bleiben, wo Sie sind, während ich nachdenke, oder die nächste Kugel erwischt Sie.»
    Merrily erstarrte. Judiths Augen waren ausdruckslos, aber nicht abwesend, wie die von J.   W.   Weal vorhin. Sie fixierte Merrily mit starrem Blick.
    «
Sie
haben mich dazu gebracht. Das ist
Ihre
Schuld. Sie haben J.   W. unterstellt, er hätte Barbara Thomas zu mir geschickt. Das hat er nicht. Das würde er nie tun.»
    «Hat sie   … es Ihnen nicht gesagt?» Merrily sah auf das Blut, das aus J.   W.   Weals Hals pumpte. Sie würgte.
    «Die Frau war total übergeschnappt», sagte Judith. «
Übergeschnappt!
Hat mich angeschrien. Stand da in ihren schicken Klamotten und hat
mich
angeschrien. Wie kann sie es wagen wegzulaufen, von
hier
wegzulaufen und es sich gemütlich zu machen in   … wo war das noch?»
    «Ham   … Hampshire.»
    «
Hampshire.
So ein bequemer, angenehmer Ort. Wie kann sie es wagen, aus Hampshire zurückzukommen und mich anzuschreien –
mich
, die es ihr ganzes Leben lang schwergehabt hat. Diese Engländer kommen hierher und denken, sie können sich alles erlauben.»
    Eine halbe Meile hinter der Grenze, noch nicht mal eine halbe Stunde, und der Mythos vom sorgenfreien Dasein der Engländer war

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