Die Fünfundvierzig
Gesichter.
Kein Schrei, kein Murren, keine Klage; der Flamländer schlägt sich mit Grimm, der Franzose mit Trotz. Der Flamländer ist wütend, daß er sich zu schlagen hat, denn er schlägt sich weder, weil es sein Gewerbe ist, noch zu seinem Vergnügen. Der Franzose ist wütend, weil man ihn angegriffen hat, während er angreifen wollte.
In dem Augenblick, als man mit der Erbitterung, die wir vergebens zu schildern versuchen würden, handgemein wird, vernimmt man hastig aufeinanderfolgende Schüsse von Sainte-Marie her, und es erhebt sich über der Stadt ein Schein, wie ein Flammenbusch. Es ist Joyeuse, der, die Scheldensperre erzwingend, mit seiner Flotte bis in dasHerz von Antwerpen eindringen wird. So hoffen wenigstens die Franzosen.
Doch dem ist nicht so. Von einem Westwinde, das heißt von dem bei einem solchen Unternehmen günstigsten Wind getrieben, hatte Joyeuse die Anker gelichtet und sich, die Admiralsgaleere an der Spitze, dieser Brise überlassen, die ihn trotz der Strömung fortführte. Alles war zum Kampf bereit; seine mit ihren Entersäbeln bewaffneten Soldaten standen auf dem Hinterteil. Seine Kanoniere waren mit angezündeten Lunten bei ihren Stücken, seine Mastwächter mit Granaten in den Mastkörben; die Elitematrosen endlich hielten sich, mit Äxten bewaffnet, bereit, auf die feindlichen Schiffe und Barken zu springen und Ketten und Seile zu durchhauen, um eine Öffnung für die Flotte zu machen.
Man rückte in der Stille vor. In Form eines Keils, dessen spitzigsten Winkel die Admiralsgaleere bildete, schienen Joyeuses sieben Schiffe über das Wasser hingleitende riesige Gespenster zu sein. Der junge Mann, dessen Posten die Kommandostelle war, hatte nicht hier bleiben können. Mit einer prächtigen Rüstung angetan, hatte er auf der Galeere den Platz des ersten Leutnants eingenommen; er beugte sich über das Bugspriet, und sein Auge schien die Nebel des Flusses und die Tiefe der Nacht durchdringen zu wollen.
Bald sah er durch diese doppelte Dunkelheit den Damm erscheinen, der sich düster quer durch den Fluß erstreckte. Er schien öde und verlassen, nur lag in diesem Lande der Hinterhalte etwas Furchtbares in dieser Einsamkeit und Verlassenheit. Man rückte indessen immer vor; man war etwa noch zehn Kabellängen von der Sperrung, und in jeder Sekunde kam man ihr näher, ohne daß ein einziges »Wer da!« die Ohren der Franzosen getroffen hätte.
Die Matrosen sahen in dieser Stille nur eine Nachlässigkeit, über die sie sich freuten; vorsichtiger als die andern, vermutete der junge Admiral eine List, über die er erschrak.
Endlich drang die Admiralsgaleere mitten in das Takelwerkder beiden Schiffe, die den Mittelpunkt der Sperrung bildeten, trieb sie vor sich her und schob diesen ganzen biegsamen Damm zurück, dessen Abteilungen durch Ketten miteinander verbunden waren, und der, indem er nachgab, ohne zu brechen, sich an die Flanken der französischen Schiffe anlegend, dieselbe Form annahm, die diese Schiffe selbst boten.
Plötzlich und in dem Augenblick, als die Axtträger, Befehl erhielten, hinabzusteigen, um die Sperrung zu durchbrechen, klammerte sich, von unsichtbaren Händen geworfen, eine Menge von Schiffshaken an dem Takelwerk der französischen Schiffe an.
Die Flamländer kamen den Franzosen zuvor, indem sie das taten, was diese tun wollten. Joyeuse glaubte, seine Feinde böten ihm einen heftigen Kampf, und er nahm ihn an. Die von seiner Seite geworfenen Haken banden die feindlichen Schiffe durch eiserne Knoten an die seinigen. Er riß eine Axt aus den Händen eines Matrosen, sprang zuerst auf das Schiff, das er mit einer sichern Fessel festhielt, und rief: »Entert! entert!«
Seine ganze Mannschaft folgte ihm, und Offiziere und Matrosen stießen denselben Schrei aus; doch kein Schrei erwiderte den seinigen, keine Macht widersetzte sich seinem Angriff. Man sah nur drei mit Menschen beladene Barken schweigsam, wie drei verspätete Seevögel, über den Fluß hingleiten.
Diese Barken entflohen mit kräftigem Ruderschlag, während die Angreifenden unbeweglich auf den Schiffen blieben, die sie ohne Kampf erobert hatten.
So war es auf der ganzen Linie.
Plötzlich hörte Joyeuse unter sich ein dumpfes Knistern, und ein Schwefelgeruch verbreitete sich in der Luft. Ein Gedanke durchzuckte seinen Geist; er hob eine Luke auf; die Eingeweide des Schiffes brannten. Im Augenblick erscholl der Ruf: »Auf die Schiffe! auf die Schiffe!« auf der ganzen Linie.Jeder stieg hastiger hinauf,
Weitere Kostenlose Bücher