Die Fünfundvierzig
gleichmäßig auf der ganzen Ausdehnung des Walles verteilt sind.«
»Das ist weise,« erwiderte der Unbekannte mit leichtem Lächeln, wobei er verstohlen den Schweigsamen anschaute, der, obgleich ein Kriegsmann, schwieg und die Bürger reden ließ.
»Dasselbe ist mit unsern bürgerlichen Truppen geschehen,« fuhr der Bürgermeister fort; »sie sind in doppelten Posten auf der ganzen Ausdehnung der Mauern verteilt und haben Befehl, auf der Stelle zum Angriffspunkte zu eilen. Übrigens handelt es sich sicher nur um eine Finte, um uns zu einem Vergleich geneigt zu machen.«
»Ei! meine Herren,« entgegnete der Unbekannte, »ihr seid in einem völligen Irrtum; es ist keine Finte, was bevorsteht, sondern ein regelrechter Angriff, den ihr auszuhalten habt.« – »Wahrhaftig?«
»Eure Pläne sind unvollständig.« – »Aber, Monseigneur...« erwiderten die Bürger.
»Unvollständig, insofern, als ihr einen Angriff erwartet und alle eure Maßregeln dafür genommen habt.« – »Allerdings.«
»Nun! diesen Angriff werdet ihr nach meinem Dafürhalten nicht abwarten, sondern machen.« – »Das gefällt mir,« rief der Prinz von Oranien, »das heiße ich sprechen.«
»In diesem Augenblick,« fuhr der Unbekannte fort, froh, beim Prinzen von Oranien eine Unterstützung zu finden, »in diesem Augenblick machen sich die Schiffe des Herzogs von Joyeuse segelfertig.« – »Woher wißt Ihr das?« riefen gleichzeitig der Bürgermeister und die andern Mitglieder des Rates.
»Ich weiß es,« erwiderte der Unbekannte. – Ein Murmeln des Zweifels durchzog wie ein Hauch die Versammlung; aber so leicht es auch war, streifte es doch die Ohren des geheimnisvollen Kriegsmannes.»Zweifelt ihr daran?« fragte er mit der größten Ruhe. – »Wir zweifeln nicht daran, da Ihr es sagt, Monseigneur. Doch Eure Hoheit erlaube uns, zu bemerken...«
»Nun?« – »Daß, wenn dem so wäre...«
»Nun?« – »Wir Nachricht darüber hätten.«
»Durch wen?« – »Durch unsern Seespion.«
In diesem Augenblick trat ein Mensch, vom Huissier geschoben, schwerfällig in den Saal, machte ehrfurchtsvoll ein paar Schritte auf den geglätteten Platten und ging halb auf den Bürgermeister, halb auf den Prinzen von Oranien zu.
Es war der vom Bürgermeister ausgesandte Späher. Dieser berichtete, er sei mit seinem Boot die Schelde hinabgefahren, dort habe er plötzlich hinter sich rufen hören: »Admiralsbarke!« Gleich darauf habe er einen furchtbaren Stoß erhalten und sei im Strom versunken; aber die Schelde habe ihren alten Freund erkannt und wiedergegeben.
»Nun!« fragte der Unbekannte den Bürgermeister, »was sagt Ihr zu diesem Berichte? Zweifelt Ihr noch, daß sich die Franzosen segelfertig machen, und glaubt Ihr, Herr von Loyeuse begebe sich aus dem Lager auf die Admiralsgaleere, um die Nacht an Bord zuzubringen?« – »Ihr seid also ein Seher, Monseigneur?« riefen die Bürger.
»Nicht mehr als Monseigneur der Prinz von Oranien, der, wie ich fest überzeugt bin, in allen Dingen meiner Ansicht ist. Doch wie Seine Hoheit bin ich gut unterrichtet und kenne auch die Leute dort.«
Und er wies mit der Hand nach den Poldern.
»Ich wäre somit,« fuhr er fort, »sehr erstaunt gewesen, wenn ich sie nicht in dieser Nacht hätte angreifen sehen ... Haltet euch also bereit, meine Herren, denn wenn ihr ihnen die Zeit gönnt, werden sie euch ernstlich angreifen.«
»Diese Herren werden mir die Gerechtigkeit widerfahrenlassen, daß ich vor Eurer Ankunft, Monseigneur, gerade so zu ihnen sprach, wie Ihr nun sprecht.«
»Aber wie glaubt Monseigneur, daß die Franzosen angreifen werden?« fragte der Bürgermeister.
»Folgendes ist wahrscheinlich: Die Infanterie ist katholisch, sie wird sich allein schlagen, das heißt sie wird auf einer Seite angreifen. Die Kavallerie ist kalvinistisch und wird sich auch allein schlagen. Zwei Seiten. Die Marine gehört Herrn von Joyeuse; er wird seinen Anteil am Kampf und am Ruhm haben wollen. Drei Seiten.«
»Machen wir also drei Korps,« sagte der Bürgermeister.
»Macht eins, meine Herren, macht eins mit allem, was ihr an besten Soldaten habt, und laßt die minder Verläßlichen zur Bewachung der Mauern zurück! Mit diesem Korps unternehmt sodann einen kräftigen Ausfall in dem Augenblick, in dem es die Franzosen am wenigsten erwarten. Sie glauben anzugreifen, man muß ihnen zuvorkommen und sie angreifen; wenn ihr sie beim Sturm erwartet, so seid ihr verloren, da die Franzosen beim Sturm nicht ihresgleichen
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