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Die Fünfundvierzig

Titel: Die Fünfundvierzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Dumas d. Ä.
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suchen; in einigen Stunden war die Armee als Armee nicht mehr vorhanden.
    Dies war der Augenblick, in dem nach dem Befehle Monseigneurs die Dämme sich öffneten, und die Schleusen aufgezogen wurden. Von Lier bis Termond, von Haesdonk bis Mecheln schickte jeder kleine Fluß, vergrößert durch seine Beiflüsse, jeder überströmende Kanal sein Teil an wütendem Wasser auf das Flachland.
    Als die flüchtigen Franzosen, nachdem sie ihre Feinde ermüdet, haltzumachen anfingen, als sie endlich die Antwerpener nebst den Soldaten des Prinzen von Oranien nach ihrer Stadt zurückkehren sahen, als die unversehrt dem Blutbade in der Nacht Entgangenen sich gerettet glaubten und einen Augenblick atmeten, diese unter Gebeten, jene unter Gotteslästerungen, da entfesselte sich zur selben Stunde ein neuer, blinder, unbarmherziger Feind gegen sie, mit der Schnelligkeit des Windes, mit dem Ungestüm des Meeres; doch so nahe über ihrem Haupte die Gefahr schwebte, hatten die Flüchtlinge doch noch keine Ahnung von dem neuen Ungewitter, das sie zu umhüllen anfing.
    Joyeuse hatte seinen auf achthundert Mann zusammengeschmolzenen Matrosen, den einzigen, die noch eine gewisse Ordnung behaupteten, Halt befohlen. Keuchend, ohne Stimme, nur noch durch drohende Gebärden sprechend, versuchte der Graf von Saint-Aignan, sein zerstreutes Fußvolk wieder zu sammeln.
    An der Spitze der Flüchtlinge, auf einem vortrefflichen Pferde reitend und von einem Bedienten begleitet, der ein anderes an der Hand hielt, jagte der Herzog von Anjou fort und fort, ohne an irgend etwas zu denken.
    »Der Elende hat kein Herz,« sagten die einen.
    »Der Tapfere ist herrlich in seiner Kaltblütigkeit,« sagten die anderen.
    Einige Stunden der Ruhe von zwei bis sechs Uhr sollten dem Fußvolk wieder die erforderliche Kraft geben, um die Flucht fortzusetzen. Nun fehlte es aber an Lebensmitteln.
    Die Pferde schienen noch mehr abgemattet als die Menschen, sie schleppten sich nur mit Mühe fort, denn sie hatten seit dem vorhergehenden Tage nichts mehr gefressen; sie bewegten sich auch am Schweif der Armee.
    Man hoffte Brüssel zu erreichen, das dem Herzog gehörte, und wo man zahlreiche Parteigänger zählte; doch war man nicht ohne Unruhe über den guten Willen der Stadt; auch auf Antwerpen hatte man einen Augenblick rechnen zu können geglaubt. In Brüssel, nämlich kaum acht französische Meilen von dem Orte, wo man sich befand, wollte man die Truppen verproviantieren und ein vorteilhaftes Lager beziehen, um den unterbrochenen Feldzug wiederzubeginnen, sobald man den Augenblick für geeignet hielte. Die Trümmer, die man zurückbrachte, sollten als Kern für eine neue Armee dienen.
    Noch zu dieser Stunde sah niemand den furchtbaren Augenblick vorher, in dem der Boden unter den Füßen der unglücklichen Soldaten sinken, Wasserberge niederstürzen und über ihren Häuptern hinrollen, die Überreste so vieler Tapferen, von dem schlammigen Gewässer fortgetragen, bis ins Meer gewälzt oder auf dem Wege niedergeworfen werden sollten, um die Felder Brabants zu düngen ...
    Der Herzog von Anjou ließ sich in der Hütte eines Bauern zwischen Heboken und Heckhout Frühstück bringen. Die Hütte war leer, die Bewohner hatten sich schon am vorhergehenden Abend geflüchtet; das von ihnen am Tag zuvor angezündete Feuer brannte noch im Kamin. Die Soldaten und Offiziere wollten ihrem Führer nachahmenund zerstreuten sich in den genannten zwei Flecken; aber sie sahen mit einem Erstaunen, in das sich Schrecken mischte, daß alle Häuser verlassen waren, und daß die Einwohner ihre Mundvorräte fast gänzlich mitgenommen hatten.
    Der Graf von Saint-Aignan suchte auf gut Glück wie die andern; die Sorglosigkeit des Herzogs von Anjou in der Stunde, in der so viele Brave für ihn starben, widerstrebte seinem Geiste, und er entfernte sich vom Prinzen. Er gehörte zu denen, die sagten: »Der Elende hat kein Herz.«
    Er durchsuchte zwei bis drei Häuser, die er leer fand; er klopfte an die Tür des vierten, als man ihm sagte, aus zwei Meilen in der Runde, das heißt in dem Umkreise des Landes, den man innehatte, seien alle Häuser so. Bei dieser Nachricht runzelte Saint-Aignan die Stirn und machte seine gewöhnliche Grimasse.
    »Vorwärts, meine Herren, vorwärts,« sagte er zu den Offizieren.
    »Aber wir sind zu müde, wir sterben vor Hunger, General,« entgegneten sie.
    »Ja, aber ihr lebt, und wenn ihr eine Stunde länger hier bleibt, seid ihr tot; vielleicht ist es jetzt schon zu

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