Die Fünfundvierzig
in der Luft und schrie mit seiner Stentorstimme: »Habt acht!«
»Eure Ehrwürden würde sich vielleicht mit dem Kommandieren ermüden,« sagte nun Bruder Borromée mit sanfter Zuvorkommenheit; »Eure Ehrwürden war diesen Morgen leidend; wenn es ihr gefiele, ihre kostbare Gesundheit zu schonen, so würde ich heute bei der Übung kommandieren.«
»Ich will es,« erwiderte Dom Modeste; »in der Tat, ich bin leidend, ich ersticke, geht.«
Borromée verbeugte sich und stellte sich wie ein Mensch, der daran gewöhnt ist, vor die Front der Truppe.
»Welch ein gefälliger Diener,« sagte Chicot; »dieser Bursche ist eine wahre Perle.« – »Er ist entzückend, ich sagte es dir wohl.«
»Ich bin überzeugt, daß er dir alle Tage dasselbe tut.« – »Oh! alle Tage... er ist unterwürfig wie ein Sklave; ich mache ihm nur seine Zuvorkommenheit zum Vorwurf. Die Demut besteht nicht in der Knechterei.«
»So daß du wahrhaftig nichts hier zu tun hast undauf beiden Ohren schlafen kannst; Bruder Borromée wacht für dich!« – »Oh! mein Gott, ja.«
»Das wollte ich wissen,« sagte Chicot, der seine Aufmerksamkeit Borromée allein zuwandte.
Es war, wunderbar anzuschauen, wie der Säckelmeister, einem Schlachtroß ähnlich, sich unter dem Harnisch aufrichtete.
Sein erweitertes Auge schleuderte Flammen, sein kräftiger Arm verlieh dem Schwerte so geschickte Bewegungen, daß man hätte glauben sollen, ein Meister in den Waffen fechte vor einem Zug Soldaten. Sooft Bruder Borromée eine Erläuterung machte, wiederholte sie Gorenflot und fügte hinzu: »Borromée hat recht; aber ich habe es Euch schon gesagt; erinnert Euch doch meiner gestrigen Lektion. Nehmt das Gewehr von einer Hand in die andere... haltet die Pike aufrecht, haltet sie aufrecht, das Eisen in der Höhe des Auges ... Haltung, beim heiligen Georg! mit den Knien nicht gewankt; halb links um ist gerade dasselbe wie halb rechts um, nur ganz das Gegenteil.«
»Alle Wetter!« sagte Chicot, »du bist ein geschickter Demonstrator.«
»Ja, ja,« machte Gorenflot, sein dreifaches Kinn streichelnd, »ich verstehe die Übung ziemlich gut.«
»Und du hast an Borromée einen vortrefflichen Zögling« – »Er begreift mich, er ist äußerst einsichtsvoll.«
Die Mönche führten den militärischen Lauf, eine damals sehr beliebte Übung, die Angriffe mit dem Schwert, mit der Pike und die Übungen im Feuer aus. Als man bei den letzteren war, sagte der Prior zu Chicot: »Du wirst meinen kleinen Jacques sehen.«
»Wer ist dein kleiner Jacques?« – »Ein artiger Junge, den ich mir beigesellen wollte, weil er ein ruhiges Äußeres und eine kräftige Hand besitzt und bei dem allen die Lebhaftigkeit des Salpeters hat.«
»Ah! wahrhaftig? Und wo ist er denn, der reizende Junge?« – »Warte, warte, ich will ihn dir zeigen, dort,siehst du, der eine Muskete in der Hand hält und zuerst zu feuern sich anschickt.«
»Und er schießt gut?« – »Auf hundert Schritte fehlt er einen Rosenobel nicht.«
»Das ist ein Bursche, der vortrefflich bei der Messe dienen muß; doch warte auch du!« – »Was denn?«
»Ja, ja, nein, nein.« – »Du kennst meinen kleinen Jacques?«
»Nicht im geringsten.« – »Aber du glaubtest ihn anfangs zu kennen?«
»Ja, es kam mir vor, als hätte ich ihn in einer gewissen Kirche gesehen, an einem Tage oder vielmehr in einer Nacht, wo ich in einem Beichtstuhl eingeschlossen war... Doch nein, ich täuschte mich, er ist es nicht.«
Diesmal, wir müssen es gestehen, standen die Worte Chicots nicht ganz mit der Wahrheit im Einklang. Chicot war ein zu guter Physiognomiker, als daß er ein Gesicht, das er einmal gesehen, je wieder vergessen hätte.
Während er, ohne es zu vermuten, der Gegenstand der Aufmerksamkeit des Priors und seines Freundes war, lud der kleine Jacques, wie ihn Gorenflot nannte, eine schwere Muskete, die so lang war, als er; nachdem er sie geladen, stellte er sich stolz hundert Schritte vom Ziel auf und schlug an. Der Schuß ging los, und die Kugel traf zum großen Beifall der Mönche mitten ins Ziel.
»Alle Wetter! das ist gut gezielt,« sagte Chicot, »und bei meinem Wort, es ist ein hübscher Junge.«
»Ich danke, mein Herr,« erwiderte Jacques, dessen bleiche Wangen sich mit der Röte des Vergnügens färbten.
»Du handhabst die Waffen geschickt, mein Kind,« versetzte Chicot.
»Ich will's lernen,« sagte Jacques.
Bei diesen Worten legte er seine Muskete beiseite, nahm eine Pike aus den Händen seines Nachbars und machte
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