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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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das Thema zu wechseln. »Wann wurden die noch mal aufgelöst? Vor dreihundert Jahren oder so?«
    »Aber dennoch«, sagte ich. »Die meisten Klischees haben einen wahren Kern.«
    »Basil stammt aus Vintas«, sagte Wil. »Und er hat tatsächlich einige merkwürdige Angewohnheiten. Er schläft zum Beispiel immer mit einem Penny unterm Kissen.«
    »Und auf meiner Reise zur Universität haben mich zwei Adem-Söldner |413| begleitet«, sagte Simmon. »Und die sprachen tatsächlich mit niemandem, nur miteinander. Und sie waren tatsächlich immer irgendwie ruhelos und am Zappeln.«
    Wilem sagte zögernd: »Und ich gestehe, dass ich viele Kealden kenne, die großen Wert darauf legen, sich Silber in die Stiefel zu stopfen.«
    »In den Geldbeutel«, wandte Simmon ein. »Stiefel sind dazu da, die Füße hineinzustecken.« Erläuternd wackelte er mit einem Fuß.
    »Ich weiß, was
Stiefel
sind«, erwiderte Wilem gereizt. »Ich beherrsche diese vulgäre Sprache besser als du. Stiefel –
Patu
. Geld, das man im Beutel hat, ist zum Ausgeben bestimmt. Geld, das man behalten will, steckt man sich in den Stiefel.«
    »An der Geschichte ist übrigens noch mehr dran«, schaltete ich mich ein, ehe wir noch weiter abschweifen konnten. »Sie enthält einen wahren Kern. Wenn ihr mir versprecht, das niemandem zu erzählen, verrate ich euch ein Geheimnis.«
    Nun spürte ich, dass ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. »Wenn ihr jemals die Gastfreundschaft einer fahrenden Theatertruppe annehmt und man euch zuallererst Wein anbietet, dann sind diese Leute mit Sicherheit Edema Ruh. Dieser Teil der Geschichte ist wahr.« Ich hob einen Zeigefinger. »Aber Vorsicht. Nehmt den Wein nicht an.«
    »Aber ich liebe Wein«, wandte Simmon in Mitleid erregendem Ton ein.
    »Darum geht es nicht«, sagte ich. »Der Gastgeber bietet euch Wein an, ihr aber besteht auf Wasser. Das könnte sich sogar zu einer Art Wettstreit auswachsen: Der Gastgeber macht immer großzügigere Angebote, und der Gast lehnt immer höflicher ab. Wenn ihr das tut, wissen sie, dass ihr ein Freund der Edema Ruh und mit unseren Bräuchen vertraut seid. Dann werden sie euch über Nacht wie ein Familienmitglied aufnehmen, nicht nur wie einen Gast.«
    Dem folgte eine kurze Gesprächspause, in der sie das Gesagte verdauten. Ich sah zum Himmel empor und betrachtete die altvertrauten Sternbilder. Ewan, der Jäger, der Schmelztiegel, die verjüngte Mutter, der feuerzüngige Fuchs, der geborstene Turm …
    |414| »Wohin würdest du gehen, wenn du überallhin gehen könntest?«, fragte Simmon aus heiterem Himmel.
    »Über den Fluss«, sagte ich. »Ins Bett.«
    »Nein, nein. Ich meine: Wenn du an jeden Ort der ganzen Welt gehen könntest.«
    »Ich bleibe bei meiner Antwort«, sagte ich. »Ich bin schon an vielen Orten gewesen. Und das hier ist es, wohin ich immer wollte.«
    »Aber doch nicht für immer«, sagte Wilem. »Du willst doch nicht für immer hier bleiben, oder?«
    »Das meinte ich«, sagte Simmon. »Wir alle wollen hier sein. Aber keiner von uns will für immer hier bleiben.«
    »Außer Manet«, sagte Wil.
    »Wohin würdest du gehen?«, verfolgte Simmon weiter beharrlich sein Thema. »Um Abenteuer zu erleben?«
    Ich dachte einen Moment lang darüber nach. »Vermutlich würde ich in den Tahlenwald gehen«, sagte ich.
    »Zu den Tahl?«, fragte Wilem. »Das sind doch primitive Nomaden, so weit ich weiß.«
    »Streng genommen sind die Edema Ruh auch Nomaden«, bemerkte ich trocken. »Ich habe mal eine Geschichte über sie gehört, in der es hieß, die Anführer der einzelnen Stämme seien keine großen Krieger, sondern große Sänger. Mit ihren Liedern könnten sie Kranke heilen und Bäume zum Tanzen bringen.« Ich zuckte die Achseln. »Ich würde zu ihnen gehen, um zu sehen, ob das stimmt.«
    »Ich würde an den Hof der Fae reisen«, sagte Wilem.
    Simmon lachte. »Das gilt nicht.«
    »Wieso nicht?«, fragte Wilem aufgebracht. »Wenn Kvothe zu den singenden Bäumen gehen kann, kann ich ja wohl ins Reich der Fae gehen. Und da tanze ich dann mit den
Embrula
… den Frauen der Fae.«
    »Die Tahl gibt es wirklich«, widersprach Simmon. »Geschichten von den Fae aber sind nur was für Besoffene, Bekloppte und kleine Kinder.«
    »Und wohin würdest du gehen?«, fragte ich Simmon, um ihn davon abzuhalten, Wilem noch mehr zu ärgern.
    Er schwieg eine ganze Weile. »Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich |415| mit seltsam tonloser Stimme. »Ich bin wirklich noch nicht groß herumgekommen. Ich

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