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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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nüchternen Magen nicht ratsam war, zumal nach einem langen Tagesmarsch, und daher sagte er: »Das ist sehr freundlich, Gott segne dich, aber ein Schluck Wasser würde mir wirklich genügen.«
    Der andere Mann, der immer noch seinen Ellenbogen hielt, lächelte. »Dann bekommst du eben Wasser
und
Wein, und zwar so viel du willst.« Und damit führte er den Bettler zu ihrem Wasserfass.
    Der alte Mann beugte sich darüber und schöpfte sich eine Kelle. Das Wasser war kühl und köstlich, aber als er die Kelle hob, kam er nicht umhin zu bemerken, dass das Fass so gut wie leer war.
    Dennoch forderte ihn sein Gastgeber auf: »Nimm noch etwas, und wasch dir auch den Staub vom Gesicht und den Händen. Ich sehe doch, dass du lange und bis zur Erschöpfung auf der Straße unterwegs warst.« Der alte Mann schöpfte sich noch eine zweite Kelle von dem Wasser, und nachdem er sich Hände und Gesicht gewaschen hatte, fühlte er sich ungemein erfrischt.
    Dann nahm ihn sein Gastgeber wieder beim Ellenbogen und führte ihn zum Feuer. »Wie ist dein Name, Väterchen?«
    Wiederum war der Bettler verblüfft. Es war Jahre her, dass sich jemand so für ihn interessiert hatte, dass er ihn nach seinem Namen fragte. Ja, es war so lange her, dass er kurz innehalten und sich darauf besinnen musste. »Sceop«, sagte er schließlich. »Ich heiße Sceop. Und du?«
    »Mein Name ist Terris«, sagte sein Gastgeber und machte dem |409| alten Mann einen bequemen Platz am Feuer zurecht. »Darf ich vorstellen? Silla, meine Frau, und unser Sohn Wint. Und das sind Shari und Benthum und Lil und Peter und Fent.«
    Dann brachte Terris Sceop einen Becher Wein. Silla kredenzte ihm eine Schale Kartoffelsuppe, dazu warmes Brot und einen halben, ausgehöhlten Goldkürbis mit einem Klacks Butter darin. Es war ein schlichtes Essen, und es war nicht überreichlich, doch Sceop erschien es wie ein richtiger Festschmaus. Und während er aß, goss Wint ihm Wein nach, so dass sich sein Becher niemals leerte, und lächelte ihm zu und saß bei ihm und sprach ihn mit »Großvater« an.
    Letzteres war einfach zu viel für den alten Bettler, und er begann leise zu weinen. Vielleicht lag es daran, dass er alt war und einen langen Tag hinter sich hatte. Vielleicht lag es daran, dass er solche Freundlichkeit nicht gewohnt war. Vielleicht lag es auch am Wein. Wie dem auch sei – Tränen liefen ihm die Wangen hinab und in den buschigen weißen Bart.
    Als Terris das sah, fragte er: »Väterchen, was ist denn?«
    »Ich bin ein törichter alter Mann«, sagte Sceop, mehr zu sich selbst als zu den anderen. »Ihr seid so freundlich zu mir wie seit Jahren niemand mehr, und es tut mir so leid, dass ich es euch nicht vergelten kann.«
    Terris lächelte und legte dem alten Mann eine Hand auf den Rücken. »Würdest du wirklich gerne dafür bezahlen?«
    »Ich kann nicht. Ich habe nichts, was ich euch geben könnte.«
    Terris’ Lächeln wurde breiter. »Sceop. Wir sind die Edema Ruh. Was wir am höchsten schätzen, ist etwas, das jeder besitzt.« Sceop sah, wie ihn die Gesichter rings um das Feuer erwartungsvoll anblickten. Terris sagte: »Du könntest uns deine Geschichte erzählen.«
    Und da Sceop nicht wusste, was er sonst tun sollte, begann er zu erzählen. Er schilderte, wie er nach Faeriniel gekommen und von einem Feuer zum anderen gewandert war, in der Hoffnung auf Mildtätigkeit. Zunächst stockte ihm noch ab und zu die Stimme, und er verhaspelte sich hin und wieder, denn er war lange allein gewesen und war das Sprechen nicht mehr gewöhnt. Bald jedoch wurde seine Stimme kräftiger, und er bekam seine Geschichte besser in den Griff, und während sich der flackernde Feuerschein in seinen hellblauen |410| Augen fing, tanzten seine Hände zum Klang seiner alten, beinah schon eingetrockneten Stimme. Und die Edema Ruh, obwohl sie doch alle Geschichten der Welt kennen, konnten nicht anders, als ihm wie gebannt zu lauschen.
    Als seine Geschichte schließlich zu Ende war, regten sich die Zuhörer, als wären sie aus tiefem Schlaf erwacht. Einen Moment lang sahen sie einander nur an, und dann blickten sie zu Sceop hinüber.
    Terris wusste, was sie dachten. »Sceop«, sagte er in sanftem Ton. »Wohin warst du denn eigentlich unterwegs, als ich dich vorhin zu uns einlud?«
    »Nach Tinuë«, sagte Sceop, dem es ein wenig peinlich war, wie sehr er sich von seiner eigenen Geschichte hatte mitreißen lassen. Sein Gesicht war erhitzt, und er kam sich töricht vor.
    »Wir reisen nach Belenay«, sagte

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