Die Furcht des Weisen / Band 1
seufzte innig. »Ich wollte bloß freundlich sein, Bast. In Wirklichkeit steht da nichts drin, was es wert wäre, jemandem gezeigt zu werden. Wenn ich irgendwas geschrieben hätte, das es wert wäre, gelesen zu werden, hätte ich weiter geschrieben.« Er ging in die Küche, und von dort hörte man nun gedämpfte Geräusche.
»Netter Versuch«, sagte Bast leise. »Aber es ist aussichtslos. Das habe ich auch schon probiert.«
»Ich brauche keinen Rat von Euch«, entgegnete der Chronist gereizt. »Ich weiß sehr gut, wie man einem Menschen eine Geschichte entlockt.«
Man hörte Geschepper aus der Küche, dann Wasser plätschern, und dann fiel eine Tür ins Schloss.
Der Chronist sah Bast an. »Solltet Ihr nicht hingehen und ihm helfen?«
Bast zuckte nur die Achseln und lehnte sich weiter auf seinem Stuhl zurück.
Kurz darauf kam Kvothe wieder herein, ein Schneidebrett und eine Schüssel frisch geputztes Gemüse in Händen.
»Ich verstehe das leider immer noch nicht«, sagte der Chronist. »Wie kann es bereits zwei schriftliche Berichte darüber geben, wenn Ihr selbst nichts darüber geschrieben und auch mit keinem Historiker darüber gesprochen habt?«
»Ihr wurdet noch nie vor Gericht gestellt, hm?«, erwiderte Kvothe amüsiert. »Die Gerichtshöfe des Commonwealth führen genauestens Protokoll, und die Gerichte der Kirche sind da sogar noch akribischer. Wenn Ihr unbedingt alle Einzelheiten darüber erfahren wollt, findet Ihr sie bestimmt dort in den Akten.«
»Das mag sein«, sagte der Chronist. »Aber Eure Schilderung dieses Verfahrens …«
|476| »… wäre eine ausgesprochen ermüdende Angelegenheit«, sagte Kvothe. Er hatte die Möhren nun fertig geputzt und begann sie zu schnippeln. »Nicht enden wollende formelle Ansprachen und Lesungen aus dem
Buch des Weges
. Es war öde, das zu erleben, und es wäre öde, es noch einmal zu wiederholen.«
Er schob die geschnippelten Möhren vom Brett in die Schüssel. »Ich habe mich wahrscheinlich ohnehin schon viel zu lange mit der Universität aufgehalten«, sagte er. »Wir brauchen die Zeit für andere Dinge. Dinge, die niemand je gesehen und niemand je gehört hat.«
»Reshi! Nein!«, rief Bast und saß mit einem Mal wieder kerzengerade auf seinem Stuhl. Mit klagender Geste wies er auf den Tresen. »Rote Bete?«
Kvothe sah auf die Rote Bete hinab, die er gerade auf dem Schneidbrett hatte, als wäre er erstaunt, sie dort zu sehen.
»Tu bitte keine Rote Bete in die Suppe, Reshi«, sagte Bast. »Das Zeug schmeckt doch abscheulich.«
»Viele Leute mögen Rote Bete«, erwiderte Kvothe. »Und außerdem ist sie gesund. Gut fürs Blut.«
»Ich
hasse
Rote Bete«, sagte Bast, und es klang erbärmlich.
»Tja«, erwiderte Kvothe ganz ruhig. »Da ich die Suppe koche, entscheide ich, was reinkommt.«
Bast sprang auf und eilte zum Tresen. »Dann übernehme ich das«, sagte er und machte eine scheuchende Handbewegung. »Hol du die Wurst und einen Laib Käse.« Er schob Kvothe in Richtung Kellertreppe und stürmte vor sich hin murmelnd in die Küche. Bald hörte man von dort geschäftiges Geschepper.
Kvothe sah zu dem Chronisten hinüber und schenkte ihm ein breites, träges Lächeln.
Nach und nach füllte sich das Wirtshaus zum WEGSTEIN. Die Leute kamen zu zweit oder zu dritt, und sie rochen nach Schweiß, nach Pferden und nach frisch gemähtem Weizen. Sie lachten und schwatzten und hinterließen auf dem eben noch sauberen Holzboden Spuren aus Spreu.
|477| Der Chronist bekam viel zu tun. Die Leute saßen vorgebeugt auf ihren Stühlen, und manche redeten mit Händen und Füßen, während andere ganz langsam und bedächtig sprachen. Das Gesicht des Schreibers blieb ungerührt, während seine Feder übers Papier schabte und er sie hin und wieder flink in sein Tintenfass tunkte.
Bast und der Mann, der sich Kote nannte, arbeiteten als bestens eingespieltes Gespann. Sie servierten Suppe mit Brot; Äpfel, Käse und Wurst; Bier und kühles Wasser aus dem Brunnen hinterm Haus. Wer mochte, bekam auch Lammbraten – und frischen Apfelkuchen.
Die Männer und Frauen lächelten und entspannten sich, froh, die Beine ausstrecken zu können und im Schatten zu sitzen. Der Schankraum war von Stimmengewirr erfüllt. Die Leute plauderten mit ihren Nachbarn, die sie schon von Kindesbeinen an kannten. Altbekannte Beschimpfungen, harmlos und butterweich, flogen hin und her, und Freunde zankten auf nette Weise darüber, wer das nächste Bier bezahlen sollte.
Doch gleichzeitig stand eine
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