Die Furcht des Weisen / Band 1
meinen Gunsten aus. Besser gesagt: Sie schrieben Briefe und verlasen sie dann im Saal.
Letztlich wurde ich in allen Anklagepunkten freigesprochen. Ich dachte, damit sei ich rehabilitiert. Ich dachte, ich hätte gewonnen …
Aber ich war in vieler Hinsicht immer noch schrecklich naiv.
|473| Kapitel 46
Zwischenspiel: Ein bisschen Musik
K vothe stand langsam auf und streckte sich. »Lasst uns an dieser Stelle eine Pause einlegen«, sagte er. »Ich gehe davon aus, dass heute mehr Leute als sonst zum Mittagessen kommen, und ich muss noch nach der Suppe sehen und ein paar Dinge vorbereiten.« Er nickte dem Chronisten zu. »Ihr solltet Euch auch bereit machen.«
Der Chronist blieb sitzen. »Moment mal«, sagte er. »Das war Euer Gerichtsverfahren in Imre?« Er sah bestürzt auf sein Blatt hinab. »Das ist alles?«
»Ja«, sagte Kvothe. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen.«
»Aber das war die allererste Geschichte, die ich über Euch gehört habe, als ich damals an die Universität kam«, erwiderte der Chronist. »Wie Ihr an einem einzigen Tag Tema gelernt habt. Wie Ihr Eure gesamte Verteidigung in Versen vorgetragen habt und Applaus dafür bekamt. Wie Ihr …«
»Und derlei Blödsinn mehr«, sagte Kvothe und ging hinter den Tresen zurück. »Ihr habt die wesentlichen Tatsachen.«
Der Chronist sah wieder auf sein Blatt hinab. »Ihr handelt das aber ziemlich kurz ab.«
»Wenn Ihr unbedingt einen ausführlicheren Bericht darüber haben wollt, könnt Ihr den andernorts finden«, erwiderte Kvothe. »Dutzende Leute haben dieses Verfahren verfolgt. Und es gibt bereits zwei vollständige schriftliche Berichte darüber. Ich sehe keine Notwendigkeit, dem noch einen dritten hinzuzufügen.«
Der Chronist war verblüfft. »Ihr habt bereits mit einem Historiker darüber gesprochen?«
Kvothe konnte ein Lachen nicht unterdrücken. »Ihr hört Euch an |474| wie ein verschmähter Liebhaber.« Er holte Teller hinter dem Tresen hervor. »Keine Angst: Ihr seid der Erste, der meine Geschichte bekommt.«
»Ihr sagtet aber gerade, es gäbe schriftliche Berichte«, erwiderte der Chronist. Dann bekam er große Augen. »Heißt das etwa, Ihr habt Eure Erinnerungen aufgeschrieben?«, fragte er, und seine Stimme nahm einen seltsamen, geradezu gierigen Klang an.
Kvothe runzelte die Stirn. »Nein«, sagte er und seufzte. »Ich habe mal mit so was angefangen. Aber ich habe es wieder aufgegeben. Es war keine gute Idee.«
»Aber Ihr wart schon so weit, dass Ihr sogar über Euer Verfahren in Imre etwas geschrieben habt?«, fragte der Chronist und sah wieder auf sein Blatt. Erst da bemerkte er, dass er immer noch die Feder bereithielt. Er schraubte sie und den Federhalter auseinander, putzte die Feder mit einem Tuch und wirkte dabei sehr gereizt. »Wenn Ihr das alles längst aufgeschrieben habt, hättet Ihr es mir ja wohl ersparen können, dass ich mir anderthalb Tage lang die Hand verkrampfe.«
Kvothe runzelte verwirrt die Stirn. »Wie bitte?«
Der Chronist rubbelte mit dem Tuch an der Feder herum, und aus jeder seiner Bewegungen sprach gekränkte Würde. »Ich hätte es wissen müssen«, sagte er. »Das lief alles viel zu glatt.« Er funkelte ihn an. »Wisst Ihr, wie viel mich dieses Papier kostet?«, fragte er und wies mit wütender Geste auf die Mappe, in der er die bereits beschriebenen Bögen verwahrte.
Kvothe starrte ihn einen Moment lang verständnislos an und lachte dann. »Ihr habt mich falsch verstanden. Ich habe diese Memoiren schon nach einem Tag oder so wieder aufgegeben. Ich habe nur eine Handvoll Seiten geschrieben. Nicht mal das.«
Die Gereiztheit wich aus dem Gesicht des Chronisten, und er guckte nur noch verlegen. »Oh.«
»Ihr führt Euch wirklich auf wie ein gekränkter Liebhaber«, bemerkte Kvothe amüsiert. »Du lieber Gott, beruhigt Euch doch. Meine Geschichte ist jungfräulich. Ihr seid der Erste, der sie in die Finger bekommt.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist doch etwas ganz anderes, so eine Geschichte niederzuschreiben. Ich scheine dafür keine besondere Begabung zu haben. Es wirkte alles irgendwie nicht richtig.«
|475| »Ich würde ja liebend gerne lesen, was Ihr da geschrieben habt«, sagte der Chronist und beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Auch wenn es nur ein paar Seiten sind.«
»Das ist schon eine ganze Weile her«, sagte Kvothe. »Ich weiß gar nicht mehr, wo ich diese Seiten gelassen habe.«
»Die sind oben in deinem Zimmer, Reshi«, sagte Bast frohgemut. »Auf deinem Schreibtisch.«
Kvothe
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