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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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der Höflinge glauben durfte, empfing Alveron dort nur ganz selten Besuch. Während ich Stapes nach draußen folgte, war ich unwillkürlich erleichtert. Alles war besser als warten.

    Alveron saß an ein Kissen gelehnt in einem großen Bett. Er wirkte bleicher und hagerer als bei unserer letzten Begegnung. Sein Blick war klar und wach, doch in seinen Augen glomm noch etwas anderes.
    Er wies auf einen Stuhl neben dem Bett. »Komm herein, Kvothe. Setz dich.« Auch seine Stimme klang geschwächt, doch immer noch befehlsgewohnt. Ich setzte mich. Ich spürte, dass dies nicht der richtige Moment war, ihm für das Privileg zu danken.
    »Weißt du, wie alt ich bin, Kvothe?«, fragte er ohne Einleitung.
    »Nein, Euer Gnaden.«
    »Was schätzt du? Wie alt wirke ich?« Ich bemerkte wieder das Glimmen in seinen Augen. Es war Wut, die schwelte wie glühende Kohlen unter einer dünnen Ascheschicht.
    Meine Gedanken überschlugen sich. Was sollte ich antworten? Ich wollte den Maer nicht kränken. Aber mit Schmeichelei würde ich ihn nur ärgern, wenn ich es nicht sehr geschickt anstellte.
    Meine einzige Chance war Ehrlichkeit. »Einundfünfzig, Euer Gnaden. Vielleicht auch zweiundfünfzig.«
    |560| Er nickte langsam. Seine Wut schien wie Donner in der Ferne zu verklingen. »Frage nie einen jungen Mann nach deinem Alter. Ich bin vierzig und habe in einer Spanne Geburtstag. Aber du hast recht, ich sehe eher wie fünfzig aus. Einige würden sogar das noch für geschmeichelt halten.« Er strich in Gedanken versunken die Bettdecke glatt. »Es ist bitter, vor der Zeit zu altern.«
    Er erstarrte vor Schmerzen und presste die Lippen zusammen. Der Anfall ging vorüber, und er holte tief Luft. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. »Ich weiß nicht, wie lange ich noch mit dir sprechen kann. Es geht mir heute nicht besonders gut.«
    Ich stand auf. »Soll ich Caudicus holen, Euer Gnaden?«
    »Nein«, fuhr er auf. »Setz dich.«
    Ich gehorchte.
    »Meine schreckliche Krankheit ist im vergangenen Monat immer schlimmer geworden und hat mich um Jahre altern lassen. Ich war mein Leben lang nur für mein Land da und habe darüber eines versäumt: Ich habe keine Familie, keinen Erben.«
    »Ihr wollt heiraten, Euer Gnaden?«
    Er sank auf das Kissen. »Das Gerücht geht also um?«
    »Nein, Euer Gnaden. Ich ziehe nur meine Schlüsse aus dem, was Ihr in unseren Gesprächen gesagt habt.«
    Er durchbohrte mich mit seinem Blick. »Wirklich? Du hast kein Gerücht gehört?«
    »Nein, Euer Gnaden. Am Hof kursieren natürlich immer Gerüchte.«
    Er nickte und lächelte bitter.
    »Aber die meisten betreffen einen geheimnisvollen Besucher aus dem Westen.« Ich vollführte eine kleine Verbeugung im Sitzen. »Von einer Hochzeit ist nicht die Rede. Ihr geltet allgemein als ein Junggeselle wie es keinen zweiten auf der Welt gibt.«
    »So«, sagte er und wirkte erleichtert. »Das stimmte auch. Als ich jünger war, wollte mein Vater mich verheiraten. Ich weigerte mich damals aber starrköpfig. Das ist übrigens ein weiteres Problem mit der Macht. Wenn man zuviel davon besitzt, wagt niemand mehr, einem seine Fehler zu sagen. Macht ist manchmal etwas Schreckliches.«
    »Das kann ich mir vorstellen, Euer Gnaden.«
    |561| »Insofern bedeutet sie auch eine Einschränkung. Einerseits eröffnet sie natürlich Möglichkeiten, andererseits nimmt sie welche weg. Ich befinde mich in einer schwierigen Situation, gelinde gesagt.«
    Ich habe im Lauf meines Lebens schon so oft gehungert, dass ich eigentlich kein Mitleid mehr mit dem Adel empfinde. Doch der Maer sah so blass und schwach aus, wie er da vor mir lag, dass er mir unwillkürlich leid tat. »Worin genau besteht Euer Problem?«
    Alveron straffte sich. »Wenn ich heiraten will, muss ich eine geeignete Frau finden. Sie muss wie ich aus einer einflussreichen Familie kommen. Andererseits dürfen nicht nur politische Erwägungen eine Rolle spielen. Sie muss noch jung sein, damit …« Er räusperte sich mit einem rasselnden Geräusch. »Damit sie einen Erben gebären kann. Oder möglichst mehrere.« Er hob den Kopf und sah mich an. »Begreifst du mein Problem?«
    Ich nickte langsam. »So ganz allmählich, Euer Gnaden. Wie viele Töchter aus den feineren Familien gibt es?«
    »Höchstens eine Hand voll.« Alverons Stimme hatte sich ein wenig belebt. »Doch kommt keine der Frauen aus dem Umkreis des Königs in Frage. Sie werden als Unterpfand bei Verhandlungen oder zur Besiegelung von Verträgen eingesetzt. Meine Familie behauptet seit

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