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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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meinte, ich sollte ihm die Arznei gleich mitbringen, wenn ich sowieso mit Euch sprechen würde.«
    Die Falte verschwand. »Gewiss«, antwortete Caudicus beruhigt. »Das erspart mir, selbst zu ihm zu gehen. Aber in welcher eigenen Sache wolltet Ihr mich sprechen?«
    Ich beugte mich eifrig vor. »Nun, ich beschäftige mich mit der Geschichte der adligen Familien von Vintas. Ich will darüber ein Buch schreiben.«
    »Eine Genealogie?« Caudicus’ Neugier schlug in Langeweile um.
    »Aber nein. Genealogien gibt es genug. Ich dachte an eine Sammlung von Anekdoten über bedeutende Familien.« Ich war sehr stolz auf meine Lüge. Sie erklärte nicht nur neugierige Fragen nach Meluans Familie, sondern auch, warum ich so viel Zeit mit dem Maer verbrachte. »Ein Geschichtsbuch liest sich meist sehr trocken, aber Anekdoten liest jeder gern.«
    Caudicus nickte nachdenklich. »Eine gute Idee. Das könnte ein interessantes Buch werden.«
    »Als Einleitung zu den Anekdoten schreibe ich ein kurzes historisches Vorwort für jede Familie. Der Maer meinte, Ihr wärt der größte Kenner der Geschichte der Familien und ich sollte doch Euch aufsuchen.«
    Das Kompliment verfehlte seine Wirkung nicht. Caudicus richtete sich ein wenig auf. »Ich weiß nicht, ob ich das wirklich bin«, sagte er mit falscher Bescheidenheit. »Aber ich habe mich tatsächlich viel damit beschäftigt.« Er hob die Augenbrauen. »Aber Ihr wisst bestimmt, dass die Familien selbst wahrscheinlich eine noch bessere Quelle wären.«
    »Sollte man meinen«, erwiderte ich mit einem ausweichenden Blick. »Aber die wirklich interessanten Geschichten rücken sie oft nicht gern heraus.«
    Caudicus grinste breit. »Nein.« Das Grinsen verging so schnell, wie es gekommen war. »Aber ich kenne gewiss keine solchen Geschichten über die Familie des Maer«, sagte er ernst.
    »Aber nein, natürlich nicht!« Ich fuchtelte abwehrend mit den |567| Händen. »Der Maer ist ein Sonderfall. Es fiele mir nicht im Traum ein …« Ich verstummte und schluckte sichtbar. »Ich hatte gehofft, Ihr könntet mir mit der Familie Lackless helfen. Über sie weiß ich noch kaum etwas.«
    »Ach nein?«, fragte Caudicus überrascht. »Die Lackless sind zwar nicht mehr, was sie einmal waren, aber Geschichten gibt es über sie jede Menge.« Sein Blick verlor sich in der Ferne, und er klopfte sich gedankenverloren mit den Fingern an die Lippen. »Ich mache Euch einen Vorschlag. Ich frische meine Kenntnisse über die Geschichte der Lackless auf, und Ihr kommt morgen für ein längeres Gespräch wieder. Jetzt ist es gleich Zeit für die Arznei des Maer, und er darf sie nicht zu spät einnehmen.«
    Er stand auf und krempelte die Ärmel hoch. »An eine Begebenheit erinnere ich mich eben gerade. Wenn Ihr nichts dagegen habt, erzähle ich sie Euch, während ich die Arznei mische.«
    »Ich war noch nie dabei, wie eine Arznei gemischt wurde«, rief ich begeistert. »Wenn ich Euch nicht störe …«
    »Überhaupt nicht. Ich könnte sie im Schlaf anrühren.« Er trat hinter einen Arbeitstisch und zündete zwei Kerzen an, die mit blauer Flamme brannten. Ich tat angemessen beeindruckt, obwohl ich wusste, dass die Kerzen nur der Effekthascherei dienten.
    Caudicus schüttete einige getrocknete Blätter auf eine kleine Handwaage und wog sie. »Könnt Ihr Euch vorstellen, auch Gerüchte in Eure Sammlung aufzunehmen?«
    »Wenn sie interessant sind, ja.«
    Caudicus schwieg, während er sorgfältig eine kleine Menge einer durchsichtigen Flüssigkeit aus einer mit einem gläsernen Stöpsel verschlossenen Flasche abmaß. »So viel ich weiß, besitzen die Lackless ein altes Erbstück. Erbstück ist eigentlich nicht ganz das richtige Wort, jedenfalls etwas sehr Altes, das bis zum Anfang ihrer Linie zurückreicht.«
    »Das ist nichts Ungewöhnliches. Alle alten Familien besitzen Erbstücke.«
    »Wartet«, sagte Caudicus gereizt, »ich bin noch nicht fertig.« Er goss die Flüssigkeit in eine flache Schale aus Blei, in deren Rand einige primitive Symbole eingeritzt waren. Die Flüssigkeit sprudelte |568| und zischte, und ein schwacher, beißender Geruch erfüllte die Luft.
    Caudicus füllte die Flüssigkeit in den Tiegel über den Kerzen. Dann fügte er die getrockneten Blätter, eine Prise von etwas anderem und eine kleine Menge eines weißen Pulvers hinzu und zuletzt noch einige Tropfen einer Flüssigkeit, bei der es sich wahrscheinlich nur um Wasser handelte. Er rührte um, goss alles durch einen Filter in ein durchsichtiges

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