Die Furcht des Weisen / Band 1
schien überrascht, zupfte ihn hastig auf und strich die Haare glatt. »Und selbst wenn nicht, was schadet es? Jeder hat Geheimnisse, Kvothe. Seine sind mir egal, solange er mich anständig behandelt. Bisher war er sehr großzügig.«
»Er ist nicht nur ein Geheimniskrämer, Denna«, widersprach ich. »So wie du ihn beschreibst, würde ich sagen, er leidet entweder an Verfolgungswahn oder steckt bis zum Hals in finsteren Machenschaften.«
»Ich weiß nicht, warum du ihn so wenig leiden kannst.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Er hat dich bewusstlos geschlagen, Denna.«
Denna schwieg. »Nein.« Sie hob die Hand an den abklingenden Bluterguss auf ihrer Wange. »Das stimmt nicht. Ich habe dir doch gesagt, ich bin beim Reiten gestürzt. Das dumme Pferd konnte einen Stock nicht von einer Schlange unterscheiden.«
|612| Ich schüttelte den Kopf. »Ich spreche vom vergangenen Herbst in Trebon.«
Denna ließ die Hand in den Schoß sinken und griff nach ihrem Finger, wie um an einem Ring zu drehen, der nicht da war. Sie sah mich starr an. »Woher weißt du das?«
»Du hast es mir selbst erzählt. In jener Nacht, als wir auf dem Hügel auf den Draccus gewartet haben.«
Sie schlug verwirrt die Augen nieder. »Daran … daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Du warst ein wenig durcheinander«, sagte ich voller Mitgefühl. »Aber du hast es mir erzählt. Du darfst dich nicht an einen solchen Menschen binden, Denna. Wer imstande ist, dir so etwas anzutun …«
»Aber er hat es für mich getan.« Dennas schwarze Augen funkelten auf einmal wütend. »Habe ich das nicht erwähnt? Ich hatte damals keinen einzigen Kratzer abbekommen, und alle anderen Hochzeitsgäste waren mausetot. Du weißt, wie das in einer kleinen Stadt wirkt. Selbst als sie mich bewusstlos auffanden, glaubten sie noch, ich könnte mit dem Massaker zu tun haben. Du erinnerst dich bestimmt.«
Ich senkte den Kopf und schüttelte ihn wie ein Ochse unter dem Joch. »Das glaube ich nicht. Es hätte bestimmt eine andere Lösung gegeben. Ich hätte eine gefunden.«
»Wir können nicht alle so schlau sein wie du.«
»Das hat mit Schlausein nichts zu tun!« Ich hatte die Stimme erhoben. »Er hätte dich mitnehmen können, als er verschwand! Oder er hätte sich zeigen und für dich bürgen können!«
»Niemand durfte wissen, dass er da war«, erwiderte Denna. »Er meinte …«
»Er hat dich geschlagen.« Noch während ich es sagte, erfüllte mich ein schrecklicher Zorn. Ich schäumte nicht vor Wut, wie ich es bei anderen Gelegenheiten aufgrund meines Temperaments schon getan hatte. Nein, was ich diesmal in mir spürte, war kalt und berechnend. Ich begriff außerdem, dass diese Kälte schon lange in mir schlummerte und sich ganz allmählich gebildet hatte wie die Eisdecke eines Teiches, der im Laufe einer langen Winternacht zufriert.
|613| »Er hat dich geschlagen«, wiederholte ich. Mein Zorn saß in meiner Brust wie ein Eisblock. »Nichts, was du sagst, kann das ändern. Und wenn ich ihm je begegne, werde ich ihm nicht die Hand geben, sondern ihn wahrscheinlich mit einem Messer aufspießen.«
Denna blickte zu mir auf und das Funkeln in ihren Augen verging. Ihr Blick war zärtlich und zugleich mitleidig, so wie man einen Welpen ansieht, der knurrt und sich dabei furchtbar wild gebärdet. Sie legte mir sanft eine Hand an die Wange und ich spürte, wie ich knallrot anlief und meine Empörung mir auf einmal unendlich peinlich war.
»Lass uns bitte nicht streiten«, sagte sie. »Wenigstens heute nicht. Ich habe dich so lange nicht gesehen …«
Also beschloss ich, unseren Streit um Dennas willen auf sich beruhen zu lassen. Schließlich wusste ich, was geschah, wenn man sie zu sehr bedrängte. »Du hast recht«, sagte ich. »Wenigstens für heute. Verrätst du mir zumindest, in welchem Auftrag dein Schirmherr dich hierher geschickt hat?«
Denna lehnte sich zurück und lächelte schelmisch. »Tut mir leid, heikle Sache und so weiter.«
»Mach dich ruhig über mich lustig«, rief ich entrüstet. »Ich würde es dir ja sagen, aber der Maer hat um strengste Vertraulichkeit gebeten.«
Denna beugte sich vor und legte ihre Hand auf meine. »Armer Kvothe, ich will dich doch nicht ärgern. Aber mein Schirmherr legt mindestens ebenso viel Wert auf Diskretion. Er hat mir mit allem Nachdruck zu verstehen gegeben, dass wir geschiedene Leute wären, wenn ich je öffentlich über unsere Beziehung sprechen würde.« Sie war wieder sehr ernst. »Er ist sehr mächtig.« Sie
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