Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
wie ein Luchs, es ist fast unheimlich.«
    Stapes öffnete die Tür und ließ Dagon herein – der hoch gewachsene Offizier mit dem kahlrasierten Schädel, der damals bei meiner Ankunft zusammen mit Alveron über den Landkarten gesessen hatte.
    Dagons Blick huschte in alle vier Ecken des Zimmers. Dann sah er zum Fenster, zur anderen Tür, kurz zu mir und wieder zum Maer zurück. In dem Moment, als sein Blick mich streifte, erwachten in mir sämtliche Instinkte, mit deren Hilfe ich auf den Straßen von Tarbean überlebt hatte, und drängten mich wegzulaufen, mich zu verstecken, kurz alles zu tun, um mich möglichst weit von diesem Menschen zu entfernen.
    »Ah, Dagon!«, rief Maer aufgeräumt. »Ich hoffe doch, es geht Euch an diesem schönen Tag gut?«
    »Jawohl, Euer Gnaden.« Dagon hatte sich dem Maer zugewandt, jedoch ohne seinen Blick zu erwidern.
    »Ich befehle Euch, Caudicus wegen Hochverrats zu verhaften.«
    Dagon zögerte kaum merklich. »Jawohl, Euer Gnaden.«
    »Acht Männer müssten genügen, vorausgesetzt sie bewahren angesichts der schwierigen Situation die Ruhe.«
    |621| »Jawohl, Euer Gnaden.« Ich meinte erneut ein leises Zögern zu hören.
    »Lebend«, sagte Alveron wie zur Antwort auf eine Frage. »Ansonsten keine Rücksichtnahme.«
    »Jawohl, Euer Gnaden.« Dagon wandte sich zum Gehen.
    »Euer Gnaden«, warf ich hastig ein, »wenn Caudicus tatsächlich Arkanist ist, solltet Ihr bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.« Ich bereute das Wort »sollte«, kaum dass ich es ausgesprochen hatte. Es klang sehr anmaßend. Stattdessen hätte ich sagen müssen:
Vielleicht wünscht Ihr gewisse Vorsichtsmaßnahmen in Betracht zu ziehen.
    Alveron schien das aber nicht zu bemerken. »Ja, natürlich, sonst entwischt er uns noch. Bevor Ihr ihn abführt, Dagon, fesselt ihn mit eisernen Ketten an Händen und Füßen. Ketten aus reinem Eisen, wohlgemerkt. Knebelt ihn und verbindet ihm die Augen …« Er überlegte kurz und klopfte mit dem Finger an die Lippen. »Und schneidet ihm die Daumen ab.«
    »Jawohl, Euer Gnaden.«
    Alveron sah mich an. »Glaubst du, das reicht?«
    Ich schluckte die Übelkeit, die in mir aufwallte, hinunter und zwang mich, die Hände in meinem Schoß ruhig zu halten. Ich wusste nicht, was mich mehr entsetzte: der unbekümmerte Ton, in dem Alveron seine Anweisungen erteilte, oder die Art, wie Dagon sie entgegennahm. Mit einem voll ausgebildeten Arkanisten war nicht zu spaßen, aber die Vorstellung, ihm die Hände zu verstümmeln, kam mir schrecklicher vor, als ihn auf der Stelle zu töten.
    Dagon ging. Kaum hatte er die Tür geschlossen, schien Stapes zu frösteln. »Gütiger Himmel, Lerand, bei dem Gedanken an diesen Mann läuft es mir kalt über den Rücken. Ich wünschte, Ihr könntet ihn fortschicken.«
    Der Maer lachte. »Dass jemand anderes ihn in seine Dienste nimmt? Nein, Stapes, ich brauche ihn hier, wo ich ihn überwachen kann.«
    Stapes runzelte die Stirn. Doch noch bevor er über die Worte des Maer nachdenken konnte, wanderte sein Blick hinüber ins Ankleidezimmer. »Oh, wieder einer.« Er ging hin. Bei seiner Rückkehr hielt er behutsam den kleinen Körper eines weiteren toten Flittichs in der |622| Hand. Er verschwand damit in einem anderen Zimmer. »Ich weiß, dass Ihr die Arznei prüfen musstet«, rief er von dort. »Aber die armen kleinen Calanthis tun mir trotzdem leid.«
    »Die wer?«, fragte ich.
    »Unser Stapes drückt sich ein wenig altmodisch aus«, erklärte Alveron lächelnd. »Und er ist gebildeter, als er zugibt. Calanthis ist der altvintische Name der Vögel.«
    »Ich könnte schwören, ich habe ihn schon irgendwo gehört.«
    »Außerdem heißt so die königliche Familie von Vintas«, sagte Alveron vorwurfsvoll. »Für jemand mit deiner Bildung hast du seltsame Wissenslücken.«
    Stapes reckte den Hals und sah wieder zum Käfig hinüber. »Ich weiß, dass Ihr es tun musstet. Aber warum habt Ihr nicht Mäuse genommen oder den garstigen kleinen Köter der Comtesse DeFerre?«
    Bevor ich antworten konnte, ertönte von draußen ein dumpfer Schlag. Stapes war noch nicht aufgesprungen, da stürzte ein Wachmann durch die innere Tür.
    »Euer Gnaden«, keuchte er, eilte zum einzigen Fenster des Zimmers und schloss eilig die Läden. Dann rannte er ins Wohnzimmer und tat dort dasselbe. Es folgten ähnliche Geräusche aus weiter hinten gelegenen, mir unbekannten Zimmern. Man hörte, wie Möbel verrückt wurden.
    Stapes wollte in seiner Verwirrung aufstehen, doch der Maer

Weitere Kostenlose Bücher