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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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meiner Abwesenheit etwas Wissenswertes vorgefallen?«
    |616| »Ihr sollt Eure Räume nicht verlassen«, sagte Jayes grimmig. Ich bemerkte, dass er das »Herr« diesmal wegließ.
    Ich blieb mit der Hand auf dem Türgriff stehen. »Wie bitte?«
    »Ihr sollt bis auf weitere Anweisung in Euren Räumen bleiben«, wiederholte er. »Und einer von uns soll ständig in Eurer Nähe bleiben.«
    Zorn stieg in mir auf. »Weiß Alveron davon?«, fragte ich scharf.
    Die beiden wechselten einen unsicheren Blick.
    Also handelten sie auf Anweisung Stapes’. Ihre Verunsicherung würde sie davon abhalten, handgreiflich zu werden. »Dann sollten wir das jetzt sofort klären«, sagte ich und ging mit forschen Schritten voraus. Die beiden Wächter eilten mir mit klappernden Rüstungen hinterher.
    Auf dem Weg durch die Gänge geriet ich immer mehr in Wallung. Wenn der Maer mir endgültig nicht mehr vertraute, dann sollte er es mir jetzt sagen. Dann hatte ich wenigstens wieder meine Freiheit und konnte mich nach Belieben mit Denna treffen.
    Ich bog im selben Moment um die Ecke, in dem der Maer gerade aus seinen Gemächern trat. Er sah gesünder aus denn je und trug einen Stapel Papier unter dem Arm.
    Verärgert blickte er mir entgegen, und ich fürchtete schon, er könnte den Wachen befehlen, mich fortzuschaffen. Trotzdem trat ich mutig auf ihn zu, als hätte ich eine schriftliche Einladung erhalten. »Euer Gnaden«, sagte ich mit gekünstelter Munterkeit, »kann ich Euch kurz sprechen?«
    »Gewiss«, antwortete er im selben Ton und öffnete die Tür, die er gerade hatte schließen wollen. »Komm herein.« Seinem Blick entnahm ich, dass er nicht weniger wütend war als ich. Ein kleiner, vernünftiger Teil in mir mahnte mich verzagt zur Zurückhaltung, aber mein Zorn ging mit mir durch, und ich preschte blindlings weiter.
    Wir ließen die verwirrten Wächter im Vorzimmer stehen, und Alveron führte mich durch die zweite Tür in seine privaten Räume. Ein bedrohliches Schweigen wie die Stille vor einem Sommergewitter lag in der Luft.
    »Deine Unverschämtheit ist nicht zu fassen«, fauchte der Maer, sobald er die Tür hinter uns geschlossen hatte. »Deine haltlosen Anklagen |617| und lächerlichen Behauptungen! Da ich nicht andere damit belästigen will, werde ich mich später damit beschäftigen.« Er streckte gebieterisch den Arm aus. »Du kehrst jetzt in dein Zimmer zurück und bleibst dort, bis ich entschieden habe, wie ich mit dir verfahren will.«
    »Euer Gnaden …«
    Er straffte sich, und ich begriff, dass er kurz davor stand, die Wachen zu rufen. »Ich will nichts hören«, sagte er nur.
    Erst jetzt sah er mich an. Sein Blick war hart wie Stein, und ich merkte auf einmal, wie heftig sein Zorn tatsächlich war. Das war nicht der Zorn eines Gönners oder Auftraggebers, den ich durch mangelnden Respekt vor seinem Rang gekränkt hatte. Nein, vor mir stand ein Mann, der seit dem sechzehnten Lebensjahr absolut über seine Umgebung herrschte. Jemand, der sich nichts dabei dachte, einen anderen Menschen in einem eisernen Käfig an einem Galgen zur Schau zu stellen. Jemand, der um ein Haar König von Vintas geworden wäre.
    Mein Zorn erlosch wie eine Kerze, deren Docht man ausdrückt, und mir wurde kalt. Ich hatte meine Situation völlig falsch eingeschätzt.
    Als Straßenkind in Tarbean hatte ich gelernt, mit gefährlichen Menschen umzugehen: Betrunkenen, Hafenarbeitern, Wachen oder auch anderen Kindern, die einen mit aus Glasscherben hergestellten Messern töten konnten.
    Der Schlüssel zur eigenen Sicherheit war immer gewesen, die Spielregeln einer Situation zu kennen. Eine Wache schlug einen nicht auf offener Straße. Ein Hafenarbeiter folgte einem nicht, wenn man vor ihm wegrannte.
    Ich begriff plötzlich, was ich falsch gemacht hatte. Für den Maer galten keine Regeln. Er konnte mich töten lassen und meine Leiche über dem Stadttor aufhängen. Er konnte mich in den Kerker werfen lassen und dann vergessen. Er konnte mich dort verhungern und sterben lassen, ohne dass ich das Geringste dagegen tun konnte. Ich hatte keine Freunde, niemanden, der sich für mich eingesetzt hätte. Ich war so hilflos wie ein Kind mit einer Weidenrute als Schwert.
    All das wurde mir blitzartig klar, und ich bekam es mit der Angst zu tun. Ich hätte in der Stadt bleiben sollen, solange noch Gelegenheit |618| dazu war. Oder ich hätte überhaupt nicht nach Severen kommen und mich in die Angelegenheiten mächtiger Leute wie die des Maer einmischen dürfen.
    In

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